Work Text:
Es tat so gut, wieder im Präsidium zu sein.
Acht Wochen Dienstunfähigkeit. Ein Sammelsurium an Verletzungen, die alle verheilen mussten und die Leo der Reihe nach abgehakt hatte wie auf einer Einkaufsliste. Die Schrammen und Prellungen, die sich von selbst erledigt hatten. Die genähten Schnitte und Platzwunden, die ihn zwei Wochen beschäftigt hatten. Das kaputte Knie, die lädierte Schulter, die angebrochenen Rippen. Das Schlüsselbein war nervig gewesen, weil das so verdammt lange gedauert hatte und er nie ahnen konnte, welche Bewegung Schmerzen durch seinen Körper jagen würde. Und diese dämliche Gehirnerschütterung.
Leichtes Schädel-Hirn-Trauma. Leicht. Leo wollte nicht rausfinden, was die schwere Version davon war, sondern war einfach nur dankbar, dass sich mittlerweile nicht mehr alles um ihn drehte, ihm nicht bei jedem lauten Geräusch schwindlig wurde und er wieder mehr als drei Wörter lesen konnte, bevor ihm flau im Magen wurde.
Wollte er definitiv nicht nochmal erleben.
Aber jetzt war der ganze Rattenschwanz an Arztbesuchen und Evaluierungen und Versicherungsformularen endlich erledigt. Zwei längere Telefonate mit der Personalabteilung vorige Woche, in denen er versucht hatte, alle Bedenken auszuräumen. Mit Erfolg: Leos Türkarte war seit heute Morgen wieder freigeschaltet, er schien offiziell wieder in den Dienstplänen auf und durfte an den Kollegen bei der Pforte vorbei und rauf in den Bürotrakt.
Mit dem Aufzug, nicht wie sonst über die Treppe, aber man konnte ja nicht alles haben.
“Wir sehen uns später?”, fragte Adam, als der Aufzug im zweiten Stock stehenblieb, wo die drei Mordkommissionen untergebracht waren und wo sich ihre Wege jetzt trennten. Adam würde rasch Esther einsammeln für einen Außentermin, und Leo musste noch rauf in den vierten Stock zur Verwaltung.
“Natürlich. Ich verlasse mich ja drauf, dass du mich wieder mit nachhause nimmst.” Leo wollte sich gegen die Wand des Aufzugs lehnen, aber verkniff es sich, solange Adam ihm im Blick hatte. Unnötige Sorgen musste er ihm auch nicht machen, und es war schon schwierig genug gewesen in den letzten Wochen, die Balance zwischen Leos Unabhängigkeitsdrang und Adams aktuell komplett überbordendem Beschützerinstinkt zu finden.
Hatte aber auch geklappt, und immerhin wussten sie jetzt, dass ihre frisch etablierte Wohngemeinschaft selbst unter Dauerstress und Anspannung funktionierte.
“Wir sind sicher nicht lang weg. Eine Stunde, länger sollte die Begehung in der Lyonerfabrik nicht dauern.”
Die Aufzugstüren begannen, sich zu schließen, stoppten dann aber, als Adam sein Knie in die Lichtschranke schob.
“Kommst du klar?”
Leo sah ihm ins Gesicht. Wog ab zwischen Rückversicherung, einer spitzen Bemerkung und einem Augenrollen. Entschied sich dann für ein, “Die Personalabteilung will nur noch ein paar Unterschriften von mir, und danach bleibe ich im Büro. Du musst dir keine Sorgen machen.”
“Soll ich doch mitkommen?”
Jetzt musste er wohl doch ein wenig firmer werden. “Die Schnaderberg ist harmlos, und die paar Meter über den Gang schaffe ich, sonst wäre ich nicht wieder diensttauglich.”
“Eingeschränkt diensttauglich.”
“Für den Innendienst reicht es.” Ein wenig schärfer als gewollt, weil das Ganze trotz allem an ihm nagte. Es ging voran mit den Reha-Maßnahmen und es wurde jeden Tag besser. Der Einkaufszettel an Dingen, die noch komplett heilen mussten, war schon fast leer. Aber trotzdem stieß er noch zu oft an Grenzen, und mittlerweile war das nicht mehr beängstigend, sondern frustrierend.
Adam musste den Ton bemerkt haben, denn er schenkte Leo nur ein feines Lächeln und hob abwehrend die Hände. “Bin ja schon still. Aber du passt auf dich auf?”
“Adam.”
“Leo.”
Wieder wollten die Aufzugstüren sich schließen. Wieder schob Adam sein Knie dazwischen.
“Wir halten hier den Betrieb auf.”
“Du bist doch derjenige, der immer rummeckert, dass man die Treppe nehmen soll.” Ein letzter prüfender Blick von Adam; Leo tat sein Bestes, um wach und aufmerksam auszusehen. “Bis später. Indisch für die Mittagspause okay?”
“Klar, gerne. Ich schreib dir noch, was du mir mitbringen sollst.”
Adam nickte. Schaute nach links und nach rechts, den leeren Gang entlang. Lehnte sich dann vor und tupfte Leo einen Kuss auf die Stirn, so flüchtig, dass er schon vorbei war, bevor Leo ihn überhaupt spürte.
“Ich bin bald wieder da.”
Leo zwinkerte ihn an; eine Geste, die er mittlerweile öfters machte, weil er es genoss, dass die Naht entlang seiner Augenbraue mittlerweile gezogen war und sich da alles wieder frei bewegen konnte. “Ich freu mich.”
Diesmal blockierte Adam nicht die Türen, als sie zugingen, sondern schenkte Leo nur ein weiteres Lächeln durch den schmaler werdenden Spalt, bis sich die Türen schlossen und der Aufzug sich mit einem leichten Rumpeln wieder in Bewegung setzte.
*
*
*
Vierzehn Unterschriften, ein unbeholfenes “Willkommen zurück, Herr Hölzer”, vom Präsidiumsleiter und einen Abstecher in die Kaffeeküche später stand Leo nach acht Wochen endlich wieder vor der Tür zum Büro seines Teams, den Lieblings-Kaffeebecher in der Hand und den vertrauten Geruch von Kopiertoner, Bodenreiniger und feuchter Pflanzenerde aus den Blumentöpfen in der Nase.
Manchmal war es schon erstaunlich, was man vermisste.
Er atmete nochmal tief durch, schloss die Augen, um das Kribbeln im Bauch zu genießen, und öffnete dann die Tür.
Wieder ein Punkt auf seiner Liste, den er abhaken konnte. Er hatte es zurück ins Büro geschafft.
Und er war nicht alleine.
“Leo! Da bist du endlich!”
Pia stieß sich mit derselben Begeisterung, mit der sie seinen Namen gerufen hatte, von ihrem Schreibtisch ab und rollte nach hinten, die besockten Füße hochgehalten, damit sie nicht auf dem Boden schleiften. Innendienst hieß wohl immer noch, dass sie es sich gemütlich machte und Schuhe optional wurden. Er fand es überraschend beruhigend als kleines Zeichen, dass sich vielleicht gar nicht so viel geändert hatte trotz allem, das passiert war.
“Hey, Pia.” Er musste sich nicht daran erinnern, zu lächeln. Das kam von ganz alleine mit all der ehrlichen Freude, die er bei ihrem Anblick spürte.
Im Krankenhaus hatte er sie nicht gesehen; da war er nicht in der Verfassung für Besuche gewesen, während Pia selbst dort Patientin gewesen war. Und als Leo dann auf die Normalstation gekommen war, war Pia schon in Blieskastel zur Reha und dann bereits zuhause, als er selbst dort zwei Wochen verbracht hatte. Geschrieben hatten sie ein paar Mal; nur ganz vorsichtig, weil Leo das Gefühl nicht hatte abschütteln können, dass Pia die Ruhe und den Abstand brauchte. Damit hatte er hoffentlich Pia geholfen, aber nicht seinen eigenen Sorgen um sie.
“Leo”, sagte sie jetzt nochmal und stand von ihrem Stuhl auf. Ohne Beeinträchtigung, registrierte Leo, ohne es wirklich zu beabsichtigen, die Bewegung flüssig und auch nicht zögerlich.
Ein Schritt, noch einer, und sie stand vor ihm und zögerte jetzt doch, die Arme halb gehoben. Rasch stellte er den Kaffeebecher auf Adams Tisch ab und war dann doch verwirrt, weil sie keinen Schritt mehr machte.
“Na komm schon her”, sagte er schließlich, als er verstand, warum sie innehielt. Ganz ruhig, auch wenn er selbst spürte, wie ihm die Kehle eng wurde bei ihrem Anblick. Pia, wieder zurück bei ihnen, wo er doch solche Angst um sie gehabt hatte. “Alles wieder heile.”
Pia machte ein leises, wortloses Geräusch, irgendwo zwischen Lachen und heruntergeschlucktem Schluchzen. Ein letzter Schritt und sie hatte ihre Arme um ihn geschlungen und sich ganz fest an ihn gedrängt.
Leo umarmte sie zurück, schloss die Augen und stützte seinen Kopf bedächtig an ihrem Scheitel ab, ihre Haare weich an seiner Wange. Pia, lebendig und warm in seinen Armen; das zu spüren war etwas ganz anderes, als nur ihre Whatsapps zu lesen.
Im Krankenhaus war eine seiner ersten Fragen nach dem Aufwachen gewesen, ob sie Pia gefunden hatten. An die Explosion hatte er sich nicht erinnern können und auch nicht daran, dass er sich vor sie geworfen hatte, um sie zu schützen. Aber die anderen waren sich einig, dass es so passiert war, und Leo hatte mittlerweile aufgegeben, in seinen Erinnerungen zu kramen. Sein Team wusste, was passiert war. Sie konnten sich daran erinnern und ihm beschreiben, was in den Stunden geschehen war, die für Leo in einer verschwommenen Nebelwand verschwunden waren. Das musste reichen.
Das reichte ihm. Darauf vertraute er. Oder versuchte es zumindest.
“Danke”, murmelte Pia gegen seine Schulter, ganz leise, und umarmte ihn noch ein wenig fester.
Langsam streichelte er über ihren Rücken. So ganz professionell war das hier nicht, aber wenn Leo eins gelernt hatte in den letzten Wochen, dann dass ‘professionell’ gelegentlich mal gepflegt die Fresse halten durfte. Und manchmal, da musste man einfach mal einen Menschen, der einem wichtig war, in den Arm nehmen.
“Immer, Pia”, sagte er. “Immer, wenn du uns brauchst. Wir sind da, und es tut mir so leid, dass es so lang gedauert hat, bis wir dich gefunden haben.”
Pia entkam ein Lachen, das ein wenig wässrig klang. “Das nächste Mal hätte ich gern die Expressbefreiung.”
“Ich geb mir Mühe, versprochen.” Leo erlaubte sich, seine Wange ganz leicht an ihrem Kopf zu reiben, und atmete einmal langsam ein, dann ein zweites Mal. Er wollte sich gar nicht vorstellen, sich noch einmal in einer solchen Lage zu finden, in einer Hilflosigkeit, mit der er auch jetzt noch erschreckend schlecht zurecht kam, obwohl doch alles wieder gut war.
Das durfte nicht nochmal passieren. Er musste besser aufpassen, wachsamer sein. Vermutlich sollten sie über Abläufe sprechen und auch mit der KTU über Tracker-
“Leo.”
Er brummte fragend und lockerte die Umarmung, als Pia sich vorsichtig von ihm löste, um ihn anzusehen. Müde sah sie immer noch aus, aber diese tiefe Erschöpfung, die sich vor der Geiselnahme in ihr Gesicht gegraben hatte, war verschwunden.
“Solltest du dich besser setzen?”
“Ich hab gerade der Schnaderberg erklärt, dass ich wieder diensttauglich bin. Ein bisschen Stehen schadet nicht.” Auch wenn sein Knie beschlossen hatte, dass es nicht begeistert war von seinem rebellischen Anflug vorhin, die zwei Stockwerke zur Mordkommission über die Treppe runter zu kommen.
Pia rollte nur mit den Augen und zog ihn mit einer festen Hand am Oberarm in Richtung Schreibtisch. Dort wartete sie, bis er sich in seinen Stuhl fallen ließ und sein Bestes tat, nicht erleichtert zu wirken, und lehnte sich dann gegen die Tischplatte, wo sich Adam auch immer gerne niederließ und wo Leo deshalb schon aus Gewohnheit den Platz freihielt.
“Besser?”
“Ja. Sorry.”
“Wenn du dich hier auf die Nase legst, krieg ich dich alleine nicht mehr auf die Füße”, sagte sie und streckte sich, um seinen Kaffeebecher von Adams Hälfte ihres gemeinsamen Tisches zu schnappen und in seiner Reichweite abzustellen. “Und Adam würde mir schön was erzählen.”
Adam hatte ihn tatsächlich gestern zehn Minuten auf dem Küchenboden sitzen lassen, weil Leo entgegen seiner Einwände unter den Tisch gekrochen war, um mit einem Tuch schnell den Boden zu wischen, und dann nicht mehr hochgekommen war. Der konnte das Meckern schön bleiben lassen.
“Es tut mir leid,” sagte er nochmal und es fiel ihm plötzlich schwer, ihrem Blick nicht auszuweichen. “Was passiert ist. Dass wir nicht schneller waren.”
Er hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, dass er heute Pia wiedersehen würde. Wirklich dumm von ihm, wo er doch gewusst hatte, dass sie auch schon wieder im Dienst war. Aber trotz aller Schuldgefühle, mit denen er sich seit Wochen herumplagte, hatte er gedacht, dass er noch ein wenig mehr Zeit haben würde.
Pia schüttelte den Kopf und griff nach einem Kugelschreiber aus Leos Stiftebecher, als bräuchte sie etwas, um ihre Hände zu beschäftigen. “Das war einfach beschissenes Timing, sonst wären Adam und ich doch Béatrice Radek nicht in die Arme gelaufen. Und ihr habt mich da rausgeholt, so schnell es ging.”
“Nicht schnell genug.” Er hatte jetzt wochenlang Zeit gehabt, um sich alles durch den Kopf gehen zu lassen, und da waren Ansätze, wo sie besser handeln hätten können. Wo er bessere Entscheidungen hätte treffen können. Das hätte ihnen vielleicht die paar Stunden gebracht, die Pia vieles erspart hätten.
“Leo.” Pia schluckte sichtlich und schien sich zu sammeln, bevor sie weitersprach. “Unten in diesem Bunker… Ohne euch wär ich da nicht mehr rausgekommen. Da ist der Rest wirklich egal.”
Er schüttelte den Kopf und wollte sie unterbrechen, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
“Die KTU hat die Explosion durchgerechnet. Sprengkraft, Radius, Druckwelle da unten in diesem engen Gang. Wenn du mich nicht geschützt hättest… Ich hatte keine Schutzweste, ich konnte die Armen nicht heben oder mich wegducken. Das wäre nicht gutgegangen und glaub mir, das war keine schöne Erkenntnis.” Pia schloss für einen Moment die Augen und atmete durch. “Als du da auf mir gelegen bist und dich nicht bewegt hast… Leo, ich hatte solche Angst um dich.”
Adam hatte ihm erst die Fallakte beschafft und dann selbst die Situation unten im Bunker beschrieben, widerstrebend und nur ein einziges Mal im Schutz der Dunkelheit in Leos Schlafzimmer. Theoretisch wusste Leo, was passiert war und wie es die anderen erlebt hatten, aber er konnte nicht erklären, was er sich dabei gedacht hatte.
Während des Gesprächs hatte Adam ihn festgehalten und seine Fragen beantwortet, als Leo versucht hatte, die Ereignisse in seinem eigenen Kopf zu sortieren. Ganz fest an Leos Rücken hatte er sich geschmiegt. Hatte Leos Kopf gestreichelt, die Berührungen ganz vorsichtig an der Stelle an Leos Hinterkopf, wo die Haare immer noch kürzer waren, obwohl die Wunde mittlerweile gut verheilt war. Haare wuchsen nach; beim nächsten Haarschnitt würde auch dieses sichtbare Zeichen verschwinden. Wieder etwas, das Leo abhaken konnte.
An ein paar anderen Dingen musste er eben noch arbeiten.
“Tut mir leid”, bot er noch einmal an, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.
“Ich hab doch gesagt, dir muss nichts leidtun.” Da war eine gehörige Prise Ärger hinter der Energie, mit der Pia den Kugelschreiber wieder in den Becher zurücksteckte, und das mochte er.
Ärger war gut. Ärger hieß, dass es Pia wieder gut ging, weil Pia sich nur ärgerte, wenn sie den Kopf dafür frei hatte.
“Leo.” Sie lehnte sich näher, eine Hand flach auf die Tischplatte gelegt, um sich abzustützen, und er musste zu ihr hochschauen. ”Lass mich einfach danke sagen, und dass ich froh bin, dass du wieder hier bist. Dass wir beide noch hier sind.”
Er nickte vorsichtig. “Okay.”
“Das will nicht in deinen Kopf, oder?”
Er zuckte mit den Schultern; zögerlich, weil die Geste erst seit einer Woche nicht mehr schmerzte und er sich erst wieder daran gewöhnen musste. “Ich frage mich, ob ich etwas besser machen hätte können.”
“Leo-”
“Nicht generell”, beschwichtigte er. “Ich weiß, wo wir besser werden können, falls das nochmal passiert. Und ich hoffe, es passiert nie wieder.”
Pia brummte zustimmend. “Ganz deiner Meinung. Einmal hat wirklich gereicht. Aber wir lernen draus.”
“Das ist es eben. Was ich meine ist das, was unten im Bunker geschehen ist.” Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht, faltete sie dann im Nacken und streckte die Schultern durch. “Ich weiß nicht, ob ich dort Fehler gemacht habe. Und weil ich mich nicht dran erinnere, weiß ich nicht, was ich besser machen kann, falls es wieder passiert.”
Pia sah ihn für lange Sekunden an und er versuchte vergebens, ihr Gesicht zu lesen.
“Oh, Leo”, sagte sie schließlich und streckte den Arm aus, um ihre Hand auf seine zu legen, ihre Finger warm und sicher. “Wieso musst du es dir immer so schwer machen?”
Leo wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
“Du hast nichts falsch gemacht”, fuhr sie fort. “Im Gegenteil. Das kannst du gerne jederzeit von mir hören.”
“Aber ich weiß nicht-”
“Tust du nicht, und deshalb glaubst du mir jetzt. Ich mach’ dir keine Vorwürfe. Esther macht dir keine Vorwürfe.”
Ein ungläubiges Schnauben entwischte ihm dabei, und Pia gab ihm einen mahnenden Klaps auf die Hand.
“Tut sie nicht. Sie ist unglücklich über ein paar Sachen, die passiert sind, aber nicht darüber, was du gemacht hast, um mich da rauszuholen. Und wie gesagt, ich bin dir nicht böse, und ich weiß gar nicht, was du anstellen müsstest, damit Adam dir böse ist.”
Den Boden unter dem Küchentisch wischen, verkniff Leo sich zu sagen. Er verstand ja, worauf Pia hinauswollte, und im Kopf wollte er ihr auch glauben. War nur nicht so einfach, wenn da immer noch viel zu viele Fragen in seinen Gedanken herumschwirrten.
“Ich bin einfach froh, dass du wieder hier bist.” Eines ihrer verschmitzten kleinen Pia-Lächeln huschte über ihr Gesicht. “Und dass ich jetzt endlich Gesellschaft hier beim Schreibtischdienst habe. Das waren zwei wirklich langweilige Wochen. Esther und Adam waren ständig unterwegs und ich musste hier alleine rumsitzen.”
Er nahm den kleinen Themenwechsel dankbar an. “Adam hat mir vom aktuellen Fall schon erzählt. Haben wir etwas zu tun?”
Das Lächeln wurde jetzt eindeutig frech. “Und ob wir was zu tun haben. Ich überlasse dir zur Feier des Tages die Wahl: willst du lieber Kontendaten abgleichen und Überweisungen nachverfolgen, oder möchtest du ein paar hundert Sprachnachrichten abhören?”
“Sprachnachrichten”, sagte er ein wenig widerstrebend, obwohl die Kontendaten ihm lieber gewesen wären. Textspalten abgleichen hatte etwas Beruhigendes, das er normalerweise mochte, aber er wollte seinen Kopf noch nicht unbedingt mit so viel visuellem Fokus herausfordern. Das Lesen klappte mittlerweile wieder besser, aber mehr als zehn konzentrierte Minuten waren noch nicht drin, bevor er eine Pause brauchte und die Augen ausruhen musste.
“Gut, dann mach ich die Konten.” Das entlockte ihm dann doch ein Schmunzeln und machte es leichter, den Laptop aufzuklappen und hochzufahren. Während auf dem Bildschirm all die Updates starteten, die sich in den letzten acht Wochen angesammelt hatten, lehnte Leo sich in seinem Stuhl zurück und schaute wieder zu Pia hoch, die immer noch auf seiner Tischkante saß.
“Geht es dir gut?”, fragte er. Die medizinischen Fakten kannte er von Adam, aber mehr hatte der ihm nicht sagen können. Nur, dass Pia wieder im Dienst war und ruhiger wirkte als vorher.
Pia überlegte; in Leos Augen war das ein gutes Zeichen. Wer überlegte, wollte nicht von vornherein eine Antwort verweigern, sondern dachte über die richtigen Worte nach.
“Es wird besser”, sagte sie schließlich. “Der Streifschuss war am Ende keine große Sache, und von der Explosion hab ich am wenigsten von uns allen abbekommen. Laute Geräusche machen keinen Spaß, aber da muss ich dir vermutlich nichts erzählen.”
Mitleidig verzog er das Gesicht und nickte. Vom unmittelbaren Knalltrauma hatte er selbst gar nicht so viel mitbekommen, weil sein Kopf in den Anfangstagen mit ganz anderen Problemen beschäftigt gewesen war und das Schlimmste durch war, bevor die Symptome der Gehirnerschütterung so weit verschwunden gewesen waren, dass er viel bemerkt hätte. Aber Lärm war ein Problem. Lärm sorgte für Kopfschmerzen und Schwindel und Schmerzen in den Ohren. Auch das wurde besser, schrittweise, aber Leo war noch nicht bereit, es als erledigt von seiner Liste zu streichen.
Pia zupfte den Ärmel ihrer Jacke am Bündchen weiter zum Handgelenk hinunter. “Esther sagt, dass du dir Sorgen gemacht hast.”
Für einen Moment wusste Leo nicht, wovon Pia da sprach. Er hatte seit Wochen mit Esther fast nur dienstliche Infos ausgetauscht, meistens per Mail und meistens via Adam als Vermittler, der vorgelesen und Antworten getippt hatte, wenn Esther Infos als Leos Teamleitungs-Vertretung gebraucht hatte. Im Krankenhaus hatte sie ihn ein paar Mal besucht, aber da hatten sie nicht viel gesprochen, weil sie beide einfach nur müde gewesen waren.
Aber dann fiel ihm wieder der Tag der Geldtransporter-Explosion ein und dass er sich Gedanken über Pia gemacht hatte. Dass er Esther nach ihrer Einschätzung gefragt hatte, und dass er keine Antwort bekommen hatte. Das alles fühlte sich gerade an, als wäre es ganz weit weg.
“Du hast so müde gewirkt. So…” Neben der Spur, wollte er sagen und tat es dann doch nicht, sondern machte nur eine hilflose kleine Geste mit der Hand. Vor ihm fragte der Laptop nach seinem Passwort, aber Leo ignorierte ihn.
Pia nickte und schaute an Leo vorbei hinaus auf die Saar und das Regenwetter da draußen, weil sich der Herbst jetzt endgültig ankündigte.
“Ich erzähl’ es dir”, sagte sie schließlich. “Nicht heute, aber irgendwann bald. Es ist nichts, das eilt.”
Wehmütig klang sie dabei, aber nicht, als wollte sie in diesem Moment überredet werden. Also fragte er nicht nach, sondern wartete, bis sie nickte und sich von der Tischkante abstieß. Ihre Hand legte sich auf seine Schulter, als müsste Pia sich ausbalancieren. Kurz drückte sie fester zu, dann ließ sie ihn los.
“Komm. Zeigen wir den anderen beiden, wie viel leichter es ist, wenn wir wieder zu viert sind.” Pia streckte ihm ihre zur Faust geballte Hand entgegen.
Leo schaute die Hand an. Schaute Pia an.
“Na komm schon”, sagte sie und wedelte ein wenig mit ihrer Faust. “Fist bump.”
Leo ballte seine Hand zur Faust, stupste Pias dargebotene Hand ganz vorsichtig an und wurde mit einem Lachen belohnt. Gut tat das, dachte er leise und erlaubte sich, ein paar der Sorgen loszulassen.
“Siehst du?” Pia schenkte ihm ein letztes aufmunterndes Grinsen, bevor sie sich ihrem eigenen Tisch zuwandte. “Ist doch gar nicht so schwer.”
Rainbow_Child Wed 05 Feb 2025 03:44PM UTC
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