Chapter Text
„Einfach straight ins Gesicht gerotzt hat der mir, richtig eklig, ich dachte kurz, ich wär wieder in Berlin in der U-Bahn”, erzählte Adam und zog seine Jacke vorsichtig enger zu. Das war ein bisschen schwer, wo er in der einen Hand die Zigarette hielt und in der anderen das Handy, aber der Balkon hatte dem Novemberwind wirklich wenig entgegenzusetzen.
„Und eben hab ich noch gedacht, wie gern ich wieder bei euch auf der Arbeit wär”, antwortete Leo, und Adam hörte das dicke Grinsen in seiner Stimme.
„Soso, die Arbeit hast du also vermisst, hm? Das steht an oberster Stelle, was du in Saarbrücken vermisst?”
„Ach quatsch, weisst du doch. Am meisten vermiss ich definitiv die Hörnchen, die können die hier in Leipzig einfach nicht.”
„Blödmann”, brummte Adam, grinste, zog an seiner Zigarette. „Bist du dir dann sicher, dass du es noch drei Wochen ohne Hörnchen da drüben aushältst? Muss ich dir welche zuschicken?”
Leo lachte. In Adams Bauch breitete sich erst Wärme aus, dann schwere Sehnsucht nach Leo. Eine Woche war er erst weg auf Fortbildung, und jetzt war nicht mal die Hälfte von den vier Wochen um. So richtig witzig war es nicht, aber er hatte sich diese Woche schon öfter belustigt gefragt, wie er es fünfzehn Jahre ohne Leo ausgehalten hatte und ihn jetzt nach wenigen Tagen schon so sehr vermisste.
„Aber sag, war der Typ, der dir ins Gesicht gerotzt hat, jetzt euer Täter oder nicht?”
„Das war ja fast das Schlimmste, wir haben den nach ner Stunde schon wieder gehen lassen, weil der absolut nicht unser Täter ist. Das hat sich also nicht mal gelohnt, die ganzen Viren zu inhalieren.”
„Ich glaube, in der Kühlschranktür hab ich noch ein, zwei Ingwershots stehen, die kannst du dir ja noch gönnen - da bleibt nichts von den Viren übrig.”
Adam verzog das Gesicht. Ja, er kannte Leos selbstgemachte Ingwershots, da blieb auch sonst nicht viel von seiner Magenschleimhaut übrig, wenn er einen oder gar zwei von denen trank. Genau das wollte er Leo gerade sagen, als es vom anderen Ende der Leitung her gähnte. Adam verdrehte die Augen.
„Du hast morgen wieder einen frühen Start, oder?”
„Joah, wir haben doch diesen Ausflug in den Wald, da fährt der Bus schon ziemlich früh los für.”
„Dann geh doch pennen, Leo. Wie willst du das Saarland denn ordentlich vertreten, wenn du da einschläfst bei eurem - was macht ihr morgen? Flagge erobern?”
„Ich weiss genau, dass du weisst, dass wir nicht Flagge erobern spielen”, grummelte Leo und gähnte noch einmal. „Und du hast mir noch gar nicht von deinem restlichen Tag erzählt, und ob Frau Huber dich wegen der Mülltonnen nochmal gerüffelt hat.”
„Das kann ich dir morgen auch noch erzählen. Wenn die Huber mich bis dahin nicht beseitigt hat”, sagte Adam und drückte seine Zigarette aus. „Geh schlafen, Leo.”
„Na gut. Hab dich lieb, Adam. Ich vermiss dich.”
„Ich vermiss dich auch. Ziemlich dolle. Schlaf gut.”
„Du auch.” Dann legte Leo auf.
Adam seufzte und versetzte der Balustrade des Balkons einen Tritt - nicht stark, und nur einmal, also half es nicht wirklich gegen seinen Missmut - dann ging er zurück in ihre Wohnung.
Diese blöde Teamleiter-Fortbildung in Leipzig. Die letzten zwei Abende hatte Adam vor dem Zubettgehen Bahntickets verglichen und sich eine Autoroute auf Maps gespeichert, war sich dann aber doch ein bisschen lächerlich vorgekommen. Vielleicht könnte er trotzdem morgen Abend beim Telefonieren mal nachhorchen, ob Leo am nächsten Wochenende weniger Programm und Zeit für einen Besuch hätte…
Am nächsten Abend kamen sie allerdings gar nicht erst zum telefonieren, nicht mal für ein paar Minuten.
Adam hatte gedacht, dass er während der geplanten Observation am Abend vielleicht durchklingeln könnte, aber er saß keine fünf Minuten im Auto vor dem Haus des Verdächtigen, als auch schon ein dunkler Schatten aus dem Fenster im ersten Stock kletterte und Adam zu Fuß die Verfolgung aufnahm. Dafür hätte er Leo wirklich gebrauchen können: Zehn Minuten lang jagte Adam dem Verdächtigen hinterher, erst durch die engen Gassen, dann quer durch den nächsten Park, bis Adam im Laufen endlich seine Dienstwaffe aus dem Holster fummeln konnte und einen Warnschuss in den Himmel abgab.
„Polizei! Stehenbleiben!” brachte er keuchend hervor. Fucking Raucherlungen. Der Typ blieb schlagartig stehen wo er war, mitten auf der nächsten Anhöhe. Drehte sich um. Adam konnte das Gesicht im spärlichen Laternenlicht kaum ausmachen. Vorsichtig kam er auf ihn zu. Der Puls hämmerte vom Rennen noch immer in seinen Ohren und seine Beine zitterten.
„Hände hinter den Kopf!” bellte Adam und kam noch einen Schritt näher. Langsam hob der Typ die Arme, dann drehte er sich mit einem Ruck um und verschwand hinter der Anhöhe.
„Fuck!”
Adam preschte hinterher. Aber auf der anderen Seite ging es steiler runter, als gedacht, mitten auf einen Weiher zu. Adam kam gerade noch so zum stehen, strauchelte kurz, bevor er sich fing, und suchte mit den Augen den Fuß des kleinen Abhangs ab, fuck, da war nichts, der Typ konnte sich doch nicht in Luft - ha! Eine Bewegung im Wasser. Der Verdächtige hatte wohl versucht, runterzulaufen und war dabei ausgerutscht und im Wasser gelandet, wo er mit den Armen und Beinen um sich schlug und trat.
Adam steckte die Waffe weg und kam vorsichtig den Abhang runter, zückte dabei das Handy und forderte endlich Verstärkung an. Fast war der Abstieg geschafft, dann würde er sich überlegen müssen, wie er den Verdächtigen da raus fischte - so richtig eilig hatte er es nicht, man müsste sich eigentlich schon Mühe geben, um in dem kleinen Weiher zu ertrinken.
Das war sein letzter Gedanke bevor er auf dem letzten Meter doch noch ausrutschte, nach vorne schlitterte, und selbst vorneüber ins Wasser klatschte.
So fanden die Kollegen Adam eine Viertelstunde später: Tropfnass, schlotternd und neben dem Weiher stehend, den ebenfalls triefenden Verdächtigen in Handschellen neben sich auf dem Trockenen. Esther trudelte gerade ein, als eine Sanitäterin Adam eine goldene Wärmedecke knisternd um die Schultern legte.
„Ich dachte, man geht zu Neujahr im Gewässer baden und nicht im November.”
„F-f-fick dich doch”, stammelte Adam.
„Bei so wenig Schlagfertigkeit muss man sich ja fast Sorgen um dich machen. Komm, ich fahr dich nach Hause und übernehm die Befragung, Papierkram kannst du morgen auch noch ausfüllen. Hat die Spusi schon deine Dienstwaffe?”
Adam nickte und stand auf, hielt die Golddecke fest um sich. Esther hatte ihn durchschaut - war ja auch nicht besonders schwer zu sehen, dass er für den restlichen Abend ziemlich unbrauchbar war, das sah selbst er ein. Er wehrte sich also nicht dagegen, von ihr nach Hause kutschiert zu werden, beinahe schlief er ans Fenster gelehnt ein. Aber ihm war kalt bis auf die Knochen, und er konnte einfach nicht aufhören zu zittern. Er hatte fast vergessen, dass Zähne tatsächlich klappern konnten, wenn einem kalt genug war. Esther war freundlich genug, das Geräusch zu ignorieren, oder die Tatsache, dass Adam ihren Beifahrersitz nasstropfte.
Zu Hause verließ ihn auch das letzte bisschen Energie. Er schaffte es gerade noch so, warm zu duschen, dann kramte er noch eine zusätzliche dicke Decke aus dem Schrank und kuschelte sich ins große, einsame Bett.
Bin bei ner Verfolgungsjagd in einen See gefallen :(, schrieb er Leo, als er das Licht ausgemacht hatte. Er schaffte es, ein, zwei Minuten zu warten, aber Leo kam nicht online, und bei dem Versuch, noch eine dritte Minute durchzuhalten, fielen ihm dann doch die Augen zu.
Als er das nächste Mal die Augen öffnete, wusste er für einen Moment nicht, wo er war.
Das war nicht sein schmales, hartes Bett im Bunker - vielleicht sein WG-Zimmer in Berlin? Aber es war schon hell im Schlafzimmer, und wenn er mal verschlief, weckte ihn sein Mitbewohner eigentlich auf. Andererseits hatte Adam einen ziemlich dicken Schädel, alles pochte in seinem Kopf, da musste er gestern wohl saufen gewesen sein. Sein Gehirn ratterte langsam. Saufen ging er nur zum Wochenende. Darum hatte ihn Vincent noch nicht aus dem Bett gejagt. Seine Augen wollten noch immer nicht so recht auf scharf stellen.
Aber langsam nahm er ein Geräusch wahr - sein Handy klingelte. Das musste ihn wohl eben geweckt haben. Der Klingelton sagte ihm, dass es sein Diensthandy war, und als er sich etwas drehte und auf den Nachttisch spähte, sah er den Namen auf dem Display. Esther.
Esther. Ah. Also nicht Berlin.
Saarbrücken.
Er fühlte sich wie gerädert. Es war viel zu hell im Zimmer, er hatte gestern wohl die Jalousie nicht runtergemacht. War wahrscheinlich zu besoffen gewesen.
Nee. Nicht besoffen. Jetzt erinnerte er sich, erschöpft war er gewesen. Er war in diesen beschissenen Weiher gefallen. Und er fühlte sich kein bisschen besser als gestern Abend. Ihm war auch noch immer eiskalt.
Angestrengt streckte er den Arm aus der Bettdecke und bekam das Handy zu greifen, kuschelte sich sofort wieder so tief wie möglich in die Decke und zog gegen das Licht auch noch das Laken über den Kopf.
Dann erst nahm er den Anruf entgegen.
„Na endlich!” motzte ihm Esther entgegen, und Adam bereute jede Entscheidung in seinem Leben, die ihn hierher zu diesem Moment gebracht hatte. Warum war Esther so laut. Warum hatte er überhaupt abgenommen.
„Ich war so kurz davor, Pia bei dir vorbeizuschicken und die Tür einzutreten! Weisst du eigentlich, wie spät es ist?”
Adam blinzelte in der halbgaren Dunkelheit unter der Decke. Seine Schulter tat weh von der komischen Position, in der er das Handy ans Ohr drückte. Eigentlich tat ihm alles weh.
Esther kam jetzt so richtig in Fahrt, und Adam fiel auf, dass er nicht geantwortet hatte.
„Das funktioniert vielleicht beim Hölzer, den halben Vormittag blau zu machen, aber nicht mit mir, Freundchen, hier wartet schon ein schöner, großer Stapel Akten auf dich, und die zwei Stunden Verspätung darfst du heute Abend abarbeiten.”
Wow, so sauer hatte er Esther lange nicht erlebt. In letzter Zeit hatten sie sich tatsächlich ganz gut verstanden, und das trotz Leos Abwesenheit. Er konnte sich nämlich auch ganz ohne Leos Intervention zusammenreißen und ein netter Kollege sein. Aber das war wohl Geschichte - immerhin, eine Woche ohne Konfrontation, das musste ein neuer Rekord sein.
Stille am anderen Ende. Die Luft unter der Decke war stickig und warm, aber draußen war es hell und kalt. Allein der Gedanke an das Tageslicht ließ seinen Kopf noch doller pochen.
„Adam?” kam es schließlich in einem deutlich anderen Tonfall aus der Leitung. Ach ja. Er hatte noch immer nichts gesagt.
„Sorry, Esther”, schaffte er schließlich, und runzelte die Stirn über seine eigene Stimme. Richtig reudig klang er. Er räusperte sich, startete einen neuen Versuch.
„Hab wohl vergessen, meinen Wecker zu stellen. Bin in zwanzig Minuten da, ja?”
„...alles okay bei dir?”
Hm. War alles okay bei ihm? Ziemlich sicher nicht, das konnte selbst Adam zugeben, wenn er über die Frage ein bisschen nachdachte. Sein Kopf dröhnte. Alles dröhnte. Er hatte einen widerlichen Geschmack im Mund. Schmeckte ein bisschen nach dem Brackwasser vom Weiher gestern.
Und wenn er in seiner Jugend eins gelernt hatte, dann war es, seinen Körper zu kennen und seine Grenzen. Und ja, da ging er auch ganz gerne mal drüber, aber das war dann immerhin mit vollem Bewusstsein.
„Ich werd krank”, gab er zu. Dann zog er sich die Decke vom Kopf und setzte sich schwungvoll aufrecht hin. Musste kurz die Augen schließen, weil sich die Welt drehte, aber nach einem Moment ging es wieder. Esther sagte kein Wort. Wahrscheinlich war sie noch zu schockiert, dass er das freiwillig gesagt hatte.
„Aber Aktensichten kann ich noch.” Einhändig kramte er in seinem Nachttisch nach der Packung Paracetamol, die da noch liegen musste.
„Aktensichten”, wiederholte Esther langsam.
„Jap. Ist Homeoffice okay?”
Am anderen Ende raschelte es, Esther sagte dumpf etwas zu jemand anderem. Adam hatte die Packung gefunden und drückt sich zwei Tabletten aus der Blisterverpackung.
„Ich schick wen mit den Akten vorbei”, sagte Esther schließlich. „Aber sag Bescheid, wenn auch Aktensichten nicht mehr drin ist.”
„Aye aye, Käpt’en”, murmelte Adam. Er wollte schon auflegen, da sagte Esther: „Und - Adam? Tut mir Leid, wegen vorhin.”
Adam zuckte mit den Schultern. Er hoffte, dass die Tabletten schnell wirkten. „Passt schon.” Uff, er musste echt krank sein, was für eine lahme Antwort. Schnell schob er noch ein: „Ich meld mich”, hinterher, dann legte er auf.
Er warf auch einen Blick auf sein privates Handy, während er sich im dunklen Bad die Zähne putzte. Hastig fuhr er die Bildschirmhelligkeit runter. Seine Augen drohten langsam, aus seinem Kopf zu purzeln. Ein Anruf von Leo, acht Nachrichten von ihm. Drei Nachrichten von Esther und eine von Pia in ihrem Gruppenchat, die er ignorierte, weil er sich den Inhalt eh denken konnte.
Leo hatte geschrieben:
Oh nein! Und keine Baywatch da, die dich rausfischen kann :(
Ist denn alles okay bei dir?
Ich geh jetzt schlafen, ruf aber gern an, ja?
Hey, guten Morgen! Ich hab noch eine Stunde bis zum Seminar, ruf mich bis dahin gern an, okay?
Schläfst wohl noch, kein Ding.
Die Mädels drehen ein bisschen durch im Gruppenchat, ich glaub, gleich steht das SEK vor deiner Tür. Oder schlimmer, Esther persönlich.
Alles klar bei dir?
Adam, ich weiss, ich nerv grad ein bisschen, aber meld dich doch mal bei mir, bitte.
Adam war angesichts der Nachrichten ziemlich überrascht, dass Leo nur einmal angerufen hatte, kurz vor der letzten Nachricht. Die war vor zwanzig Minuten gekommen.
Er spuckte die Zahncreme aus und setzte sich auf den Badewannenrand, während er auf „Rückruf” tippte. Es klingelte, tutete ein paar Mal, dann legte Adam schließlich auf. Die Schmerzmittel wirkten langsam, und sein Kopf klärte sich ein bisschen auf. Langsam tippte er eine Nachricht an Leo:
Sorry, hab voll verschlafen. Bin bisschen angeschlagen, nichts dolles, alles okay.
Leo hatte noch nicht geantwortet als Adam in Jogginghose und Bademantel in der Küche saß und lustlos auf einer Scheibe trockenem Toast kaute. Er hatte sich an die Heizung gelehnt, die leise vor sich hin gurgelte, und versuchte sich vorzustellen, dass die Wärme neben ihm Leo war. Dass er ausgerechnet jetzt auf diesem beschissenen Seminar sein musste, auf der anderen Seite der Republik!
Eine Weile starrte er noch vor sich hin, dann klingelte es an der Tür. Die Streifenpolizistin hob nur eine Augenbraue, als ihr Adam die Tür öffnete - er sah wahrscheinlich ganz und gar nicht wie jemand aus, der die drei Kartons offizieller Polizeiakten im Empfang nehmen durfte. Trotzdem ließ sie ihn kommentarlos unterschreiben, dass er den Kram ausgehändigt bekommen hatte und fragte, ob er Hilfe beim Reintragen brauchte.
Brauchte er nicht.
Im Schneidersitz saß er eine halbe Stunde später am Schreibtisch unter der Kuscheldecke und versuchte sich ein Bild davon zu machen, wie sich die Firma des Verdächtigen die letzten Jahre über Wasser halten konnte. Die Abrechnungen waren so detailiert aufgelistet, dass es schwer war, einen Überblick zu behalten, besonders, wenn sich der Kopf wie in Watte eingepackt anfühlte. Immerhin hatten die Kopfschmerzen tatsächlich aufgehört.
Sein Blick blieb an den Ausgaben für den Bürobedarf hängen. Irgendwas daran kam ihm komisch vor. Sie waren ein bisschen höher als im Monat zuvor, und er fragte sich, ob er -
Sein Handy klingelte, das Private. Vor Schreck ließ er die Mappe fallen, warf wehmütig einen Blick auf die Ausdrucke, die sich über den Boden verteilten und kramte dann sein Handy unter einem Ordner hervor. Leo, natürlich.
„Adam, hey! Sorry für die ganzen Nachrichten gestern und heute.”
„Kein Stress”, sagte Adam und musste sich räuspern. Jetzt erst merkte er, dass auf dem linken Ohr nicht so gut hörte. „Habt ihr grade Pause?”
„Sozusagen”, antwortete Leo eine Sekunde zu spät, und Adam schnaubte.
„Leo Hölzer, schwänzt zu gerade das Seminar, um mit mir zu telefonieren? Ich hab echt nen schlechten Einfluss auf dich.”
„Meine Mutter hat mich immer vor dir gewarnt.” Adam hörte das Lächeln aus Leos Stimme raus.
„So eine dreiste Lüge, deine Mutter liebt mich.”
„Nur, weil sie nichts vom Schwänzen weiss. Im ernst, wie geht’s dir?”
Adam wiegte den Kopf hin und her - schlechte Entscheidung, sein steifer Nacken protestierte. „Ich mach heute Home Office, das hilft schonmal. Ich weiss aber nicht, ob da deine Ingwershots noch irgendwas rumreißen können.”
„Oh weh, so schlimm? Hast du schon was genommen? Wir müssten noch Grippostad da haben, und Franzbranntwein.”
Adam verzog das Gesicht. „Wenn ich jetzt versuche, mir den Rücken einzureiben, verrenk ich mich nur. Ich hab schon Paracetamol genommen.”
„Dann nimm besser die nächsten Stunden kein Grippostad, da sind ja auch Schmerzmittel drin.”
Adam rollte mit den Augen und lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück. „Schon klar.”
„Und hast du schon was richtiges gegessen? Und was anderes getrunken als Kaffee?”
„Boah Leo, ich kann schon auf mich aufpassen”, grummelte Adam, vielleicht eine Spur schärfer als beabsichtigt. Es half nicht, dass Leo natürlich den Nagel auf den Kopf getroffen hatte mit seinen Fragen.
„Ich weiss, dass du das kannst, ob du das auch machst, ist eine andere Sache.” Er hörte immer noch, dass Leo lächelte, und irgendwie nervte ihn das.
„Ich hab doch gesagt, dass ich Home Office mache und was genommen hab, was willst du noch?”
Jetzt hatte Leo den Stimmungswechsel doch mitbekommen. Einen Moment herrschte Stille, dann sagte Leo: „Ich mach mir nur Sorgen, weil ich so weit weg bin, Adam. Ich weiss, dass du auch alleine klar kommst”.
Dieser fucking vorsichtige Tonfall. Als wär Adam ein wildes Tier, das man beruhigen musste.
„Komm ich auch”, bestätigte Adam. „Muss ich wohl oder übel wohl auch, hm?” Leo sagte nichts, dachte wahrscheinlich darüber nach, was er sagen konnte, was Adam nicht an die Decke gehen ließ.
„Ich komm klar”, sagte er nochmal, und natürlich war das der Moment, in dem er den ersten fucking Hustenanfall bekam, völlig aus dem Nichts. Tief aus seiner Lunge kam er, und da war wieder dieser widerliche Geschmack in seinem Mund. Er schluckte angewidert, als er wieder atmen konnte, und hob das Telefon wieder ans Ohr. Er konnte Leos Sorge aus hundert Kilometern Entfernung deutlich spüren, und das kotzte ihn an.
Er schnaufte, hörte selbst, wie angestrengt sein Atem ging als er sagte: „Geh mal zurück zu deinem Seminar.” Und dann, als krönenden Abschluss schoss er hinterher: „Kannst hier ja grad eh nichts machen.” Und legte auf.
Und, Überraschung, fühlte sich dann natürlich noch elendiger. Er hasste es, wenn die Wut so plötzlich hochkochte. Und er hasste es, krank zu sein. Und er hasste es, sauer auf Leo zu sein, der ja überhaupt nichts dafür konnte, weder dass Adam krank war, noch dass er in Leipzig war während Adam krank war, noch, dass Adam so hochging, nur weil sich Leo offensichtlich Sorgen machte. Fucking fantastisch.
Adams Blick fiel auf die Papiere auf dem Fußboden, die er eben fallen gelassen hatte und war vor allem sauer auf sich selbst. Ächzend beugte er sich runter und sammelte die Sachen auf, brauchte fast fünf Minuten und einen weiteren Hustenanfall, bis er den Kram sortiert hatte.
Mist, er hatte eben noch einen wichtigen Gedanken gehabt, bevor Leo anrief. Ganz sicher war da was, was ihm seltsam vorgekommen war, und er erinnerte sich noch an dieses gespannte Kribbeln in seinen Fingern, das er bekam, wenn er einen Hinweis fand.
Half ja nichts. Adam rückte mit dem Stuhl näher an den Schreibtisch, blätterte nochmal ganz nach vorne zurück, und fing wieder bei Null an.
Kurz nach zwei rief er Esther an, weil er die Zahlen mehrmals geprüft hatte. Die Ausgaben für Büroartikel stiegen monatlich langsam an, so geduldig, dass es nur auffiel, wenn man die letzten Jahre zusammen betrachtete.
„Das wirft die Frage auf, ob Timo Wittler dann doch nicht dadrin verwickelt ist. Mit Büroausgaben hat der ja eher weniger zu tun. Und er arbeitet ja auch erst seit zwei Jahren da”, sagte Pia. Adam musste sich anstrengen, um sie zu verstehen, wahrscheinlich stand sie nicht direkt neben Esthers Telefon. Er hatte die Stirn auf der Tischplatte abgelegt. Sein Kopf pochte schon wieder.
„Fürs Büro zuständig sind wahrscheinlich…ich hab’s gleich…Monika Schwabe und Cora Köhn. Die sind beide auch schon länger in der Firma.”
„Adam, hast du deinen Dienstlaptop da?” fragte Esther.
Adam hob mit Mühe den Kopf und zog das Handy näher zu sich. „Hab ich.”
„Kannst du nach möglichen Verbindungen zwischen Wittler und einer der beiden suchen? Vielleicht kannten sie sich ja auch schon, bevor Wittler in der Firma angefangen hat.”
„Mach ich”, sagte Adam und legte den Kopf wieder hin. Er musste flach atmen, sonst hustete er gleich wieder.
„Sagst du Bescheid, wenn du was brauchst? Ich kann dir gern was vorbeibringen, Medikamente, was zu essen”, bot Pia an. „Oder Gummibärchen?”
„Ich brauch nichts”, antwortete Adam und musste plötzlich an sein Telefonat mit Leo denken. „Danke trotzdem”, fügte er nach einem Moment hinzu.
„Dann vernehmen wir nochmal Wittler. Dem hat eure Runde Schwimmen gestern Abend übrigens gar nichts getan. Hast wohl mieses Karma, Schürk.”
„Du mich auch, Baumann”, murmelte Adam und legte auf.
Den ganzen weiteren Tag über ignorierte Adam sein privates Handy. Er hatte es nicht auf stumm geschaltet - das tat er Leo dann doch nicht an - aber er schaute nicht nach, ob er Nachrichten von ihm hatte. Er wusste selbst gar nicht so sehr, warum. Wenn er ehrlich zu sich war, dann vermisste er Leo ziemlich stark, selbst Leos Sorge, wünschte sich dann irgendwie doch, dass Leo ihm was kochte und ihm regelmäßig eine Tasse Tee vorbeibrachte und ihm sagte, dass er mal Pause machen sollte.
So schlurfte Adam nur einmal in die Küche, um sich eine Dosensuppe warm zu machen und noch eine Runde Paracetamol zu nehmen. Er fand noch eine Packung Hustenbonbons in einer Küchenschublade und zog mit dem Laptop aufs Sofa im Wohnzimmer um, wo er die Beine lang ausstrecken konnte. Der Bildschirm war auch auf niedrigster Stufe viel zu hell, und er recherchierte sicher zehn Minuten lang, wo Wittler und Köhn in den Kindergarten gegangen waren, bis ihm auffiel, wie hirnsinnig die Idee war. Gegen vier musste er die Kuscheldecke wegstrampeln und den Bademantel ausziehen, weil ihm plötzlich unendlich heiß war. Als er sich nach der Wasserflasche auf dem Wohnzimmertisch ausstreckte, protestieren seine Muskeln, und danach musste er sich kurz zurücklehnen und durchatmen.
Sein Klingelton weckte ihn wieder. Sein Laptop war ihm vom Schoß auf die Sitzfläche neben ihn gerutscht. Seine Haare klebten verschwitzt an seiner Stirn.
Es war Esther. „Wir haben Wittler vorhin gehen lassen”, fing sie ohne große Umschweife an. Adam blinzelte in das dunkle Wohnzimmer. Draußen war die Sonne schon untergegangen.
„Er sagt natürlich, dass er Köhn und Schwabe nur von der Arbeit her vage kennt, und die anderen beiden haben das auch behauptet, bei denen sind wir eben vorbeigefahren. Aber die Schwabe hat in ihrer Einfahrt einen kleinen schwarzen Mini stehen, so einer wurde in der Tatnacht in der Nähe gesehen. Das ist schonmal was. Bist du weitergekommen?”
„Äh”, machte Adam und zog sein Notizbuch unter dem Laptop hervor. Er nahm das Handy vom Ohr und schaltete auf laut, damit er die Notizen im Handylicht lesen konnte.
„Also, Köhn und Wittler haben beide Kinder im gleichen Alter…und auf Insta folgen beide der gleichen Seite fürs Kinderturnen” entzifferte er seine krakeliken Notizen. Was für eine Sauklaue. „Rambazamba Turnen. Aber das ist für Kinder ab Vier, und deren Kinder sind erst fünf, also können die sich darüber auch erst seit einem Jahr kennen. Und Schwabe wohnt in der gleichen Straße wie Wittlers Mutter. Mehr hab ich noch nicht.”
„Gute Arbeit”, sagte Esther trotzdem. Och nee. Esther sollte jetzt bloß nicht weich werden, weil Adam krank war.
„Wir machen jetzt Feierabend und schauen uns morgen die Sache mit dem Minivan nochmal an. Sagst du morgen Bescheid, falls -”
„- es mir schlechter geht, ja, ich weiss, mach ich. Schönen Feierabend euch!”
Es ging ihm schlechter, so viel war sicher. Egal, bis morgen konnte sich da ja noch was tun, zumal er sich heute ja wirklich nicht gerade überanstrengt hatte. In der Küche fand er noch eine Packung Minipizzen im Gefrierfach. Wenn er auch nur ansatzweise etwas hätte schmecken können, hätte er sich wahrscheinlich sogar darauf gefreut. So saß er aber nur schlapp am Küchentisch und stellte sich einen Timer für den Ofen.
Dabei fielen ihm Leos Nachrichten auf. Zwei Stück hatte er nur geschickt, und kein einziges Mal angerufen. Ein Kloß formte sich in Adams Kehle noch bevor er den Chatverlauf antippte.
Geht’s dir ein bisschen besser? hatte Leo vor einer halben Stunde geschrieben. Und dann vor zwanzig Minuten:
Wir habe gleich noch ein Socialising, aber schreib, falls du telefonieren willst, ich muss da nicht dabei sein. Hab dich lieb, schlaf gut, falls du keine Zeit hast.
Ja, Adam hätte schon gern telefoniert. Aber er wusste nicht, wie er das von heute Morgen erklären sollte. Und er hatte Angst, wieder sauer zu werden. Das hatte Leo nicht verdient. Also schrieb er zurück:
Dann geh mal schön socialisen, ich geh gleich schon schlafen, bin hundemüde. Lass morgen telefonieren. Hab dich lieb.
Er war tatsächlich hundemüde, konnte beim Essen kaum die Augen offen halten. Als er dann aber endlich im Bett lag, protestierte seine Lunge lautstark gegen die horizontale Position - er war kaum weggedöst, bevor er sich die Lunge aus dem Leib husten musste, und dann war ihm erst zu kalt, dann zu heiß, strampelte sich die Decke vom Körper, rollte sich von einer Seite auf die andere, bis er schließlich doch wegdämmerte.
Seine Nase war völlig verstopft, als er aufwachte. Wieder dröhnte sein Kopf, schmerzten seine Muskeln. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal so krank gewesen war. Das Schlucken tat ihm weh, aber sein Hals war staubtrocken. Er hatte keine andere Wahl, als sich etwas zu trinken zu suchen. Zitternd stand er also am Waschbecken im Bad und versuchte sich aufrecht zu halten, während er trank. Kurz hatte er Angst, es nicht zurück ins Schlafzimmer zu schaffen und fühlte sich so schlecht, dass er sich nichtmal darüber ärgerte, dass er sich so elendig vorkam. Mit einer Hand an der Wand schaffte es er mit kleinen Schritten schließlich zurück ins Schlafzimmer und zog die Tür hinter sich zu. Die Dunkelheit war Balsam für seinen Kopf, auch wenn er unendlich lange dafür brauchte, den Rückweg ins Bett zu finden, und dann noch länger, um sein Handy auf dem Nachttisch zu ertasten.
Sein privates Handy, weil sein Diensthandy dummerweise noch im Wohnzimmer lag und damit lichtjahre außer Reichweite. Er schrieb Esther eine kurze Nachricht, dass er für heute raus war. Ob das so als richtige Krankschreibung galt, wussste er nicht, aber mehr als einen halben Gedanken verschwendete er nicht an so eine Frage. War doch eh scheißegal.
Stattdessen sah er, dass Leo ihm geschrieben hatte, vor einer halben Stunde, um acht.
Guten Morgen, wie geht’s dir heute?
Fuck, jetzt schossen Adam Tränen in die Augen. Er fühlte sich so heftig beschissen, und er wollte Leo bei sich haben. Der sich doch gestern nur Sorgen um ihn gemacht hatte. Er hatte Leo echt nicht verdient, Leo und sein weiches Herz. Er hätte es ihm eigentlich auch nicht verdenken können, wenn Leo sich nicht nach ihm erkundigt hätte.
Adam tippte auf das Anrufsymbol, bevor er es sich anders überlegen konnte und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
Leo nahm fast sofort ab.
„Hey, Adam, wie geht’s dir?”
„Kannst du kommen?” platzte es aus Adam raus. Er musste sich wieder über die Augen wischen.
„Was? Adam, alles in Ordnung?”
„Nee, mir geht’s gar nicht gut…ich - ich wünschte du wärst hier”, gab er zu, dann zerriss ihn ein Hustenanfall. Mehrere Minuten lang ächzte er und rang nach Luft, wünschte sich, er hätte eine Wasserflasche mitgenommen, und kriegte sich dann schließlich doch auch ohne Wasser wieder ein.
„Das klingt gar nicht gut”, hörte er Leos leise Stimme von der Bettdecke her, wo er das Handy fallen gelassen hatte. Adam hielt es sich wieder ans Ohr. Leo klang auch ein bisschen außer Atem.
„Hör mal, ich bin gleich auf meinem Zimmer und schmeiß meinen Kram ins Auto und fahr rüber. Okay? Das hab ich eben richtig verstanden, also, dass du das auch willst, oder?”
„Nur wenn du - ja. Bitte. Ich - ich hätt dich echt gern hier.”
„Okay. Ich fahr so fünf, sechs Stunden, ich bin am Nachmittag bei dir. Packst du das bis dahin? Sei ehrlich. Pia kann sicher auch vorbeikommen so lange.”
„Ich versuchs”, murmelte Adam. Ihm kamen wieder die Tränen, diesmal vor Erleichterung. „Fahr vorsichtig, ja?”
„Mach ich. Versuch so lang noch ein bisschen zu schlafen, ja?”
„Ja. Leo, wegen gestern, also -”
„Ist doch jetzt egal. Da können wir drüber sprechen, wenns dir besser geht, hm?”
„...bis bald.”
„Bis gleich. Hab dich lieb.”
„Ich dich auch.”
Als Leo auflegte schob Adam das Handy unter sein Kopfkissen, damit er auf jeden Fall mitbekam, falls Leo auf der Fahrt anrief und zog die Decke bis unters Kinn. Schloss die Augen.
Hatte das Gefühl, vielleicht doch ein bisschen schlafen zu können, mit dem Wissen, dass Leo in ein paar Stunden da war und mit der absoluten Gewissheit, dass mit Leo an seiner Seite alles auszuhalten war.
Chapter 2: Innig und ohne Geduld (Leos Version)
Summary:
Leo kommt nach Hause.
Notes:
Unverhofft kommt oft - ein Bonuskapitel, das ich eigentlich nicht geplant hab, aber eigentlich doch dringend nötig war.
Chapter Text
Draußen wurde es gerade dunkel als Leo die Wohnungstür aufschloss. Richtig hell war es auf seiner Fahrt von Leipzig sowieso nicht geworden - vor Frankfurt hatte er eine halbe Stunde im nebligem Stau gestanden.
Leise drückte er die Tür auf und lauschte. Kein Geräusch. Die Luft in der Wohnung schien ihm abgestanden und stickig, aber vielleicht war das auch seine eigene Erwartung, die ihm einen Streich spielte. Neben der Garderobe stellte er vorsichtig seine Sporttasche ab, in die er heute Morgen hektisch das Nötigste reingeworfen hatte. Er streifte sich die Schuhe von den Füßen und stellte sie neben Adams dreckige Sneaker - die bei genauer Betrachtung Adams ehemals weiße Sneaker waren. Es brauchte wahrscheinlich keinen Kriminalhauptkommissar, um zu kombinieren, dass Adam die Schuhe angehabt hatte, als er in diesen See gefallen war. Leo zog eine Grimasse - weiss wurden die sicher nicht mehr.
Er hängte noch die Jacke auf und schulterte wieder die Tasche, dann schlich er sich endlich zur geschlossenen Schlafzimmertür, drückte vorsichtig die Klinke runter und machte sie gerade weit genug auf, um seinen Kopf durchzustecken.
Zuerst sah er nichts - natürlich, die Jalousie war runtergelassen. Als sich seine Augen nach einem Moment an die Dunkelheit gewöhnten, konnte er dunkle Schemen erkennen, einen tief eingepackten Schatten auf dem Bett. Ein leises, rasselndes Atmen schien vom Schatten her zu kommen.
Eigentlich hatte sich Leo auf der langen Fahrt einen detaillierten Schlachtplan überlegt, hatte erstmal Suppe kochen wollen, bevor er Adam weckte, aber mit einem Mal wollte er keine Sekunde länger von Adam getrennt sein.
Er drückte den Spalt ein bisschen mehr auf und schlüpfte hindurch, ließ die Tür auf, um ein wenig Licht rein zu lassen und tappste zum Bett, setzte sich vorsichtig auf die Kante. Adam bewegte sich leicht unter der Decke, murmelte etwas unverständliches. Leo legte vorsichtig eine Hand dahin, wo er eine Schulter vermutete.
„Adam?” fragte er leise. Dann ein bisschen lauter: „Adam?”
Adam bewegte sich unter seiner Hand leicht, schien aber nicht aufzuwachen. Leo zupfte zaghaft an der Decke. „Adam?”
Der schreckte mit einem Mal hoch und setzte sich so plötzlich auf, dass Leo wie verbrannt die Hand wegzog. Hektisch schaute sich Adam um, bis er schließlich Leo neben sich fand. Das Licht aus dem Flur spiegelte sich in seinen Augen, sie sahen riesig und dunkel aus.
„Leo?” fragte Adam mit unsicherer Stimme. Er klang furchtbar, allein dieses eine Wort. Leo streckte seine Hand wieder aus und legte sie ihm an die Stirn. Ein unglücklicher Laut entfuhr ihm bei der Hitze unter seinen Fingern.
„Leo”, bestätigte er, und ließ seine Hand zu Adams Wange runtergleiten. „Wie fühlst du dich?”
Adam starrte Leo einen Moment an, und Leo bekam kurz Angst, dass Adam nicht klar im Kopf war, dann schärfte sich sein Blick ein bisschen. „Froh, dass du wirklich da bist.” Adam ließ sich abrupt nach vorne fallen, und Leo rutschte schnell näher, damit er ihn in den Arm nehmen konnte. Adams Kopf an Leos Brust strahlte selbst durch das Shirt Hitze ab.
„Aber hab wohl doch nicht geträumt”, nuschelte Adam in den Stoff. Leo strich ihm über den Rücken.
„Geträumt?...dass wir telefoniert haben heute Morgen?”
Er spürte, wie Adam nickte. „Ich fass es nicht, dass du wirklich da bist.”
„Ach, Adam”, murmelte Leo und fuhr mit der Hand durch Adams Haare. „Du bist echt verschwitzt, willst du dich mal abduschen? Würde auch beim Fieber helfen.”
Der Vorschlag war ihm rausgerutscht, bevor er darüber nachdenken konnte, und für einen Moment hatte er Angst, dass Adam wieder wütend werden würde, so wie gestern am Telefon. Mit Sorge konnte Adam manchmal nicht so gut umgehen, das wusste er eigentlich, aber in der Praxis haderte Leo immer noch damit, einen guten Weg zwischen ihren Bedürfnissen zu finden.
Falls Adam der Duschvorschlag nervte, schien er zu erschöpft, um sich dagegen zu wehren. Er seufzte nur schwer, verlagerte noch ein bisschen mehr Gewicht in Leos Arme.
„Weiss ehrlich nicht, ob ich das packe”, sagte Adam schließlich mit leiser Stimme. Leo wurde es ein bisschen schwerer ums Herz und setzte zu einer Antwort an, als sich Adam plötzlich aufsetzte, Luft holte und dann so tief hustete, dass Leo es praktisch in seinen eigenen Lungenflügeln fühlen konnte. Adam griff sich an die Brust, das Husten wollte nicht aufhören, und Leo legte ihm behutsam eine Hand auf den Rücken, rieb Kreise über das Shirt, bis der Anfall endlich aufhörte. Keuchend hob Adam den Kopf, und im wenigen Licht vom Flur sah Leo, dass Adam Tränen in den Augen hatte.
„Fuck”, brachte Adam hervor und rieb sich über Augen. „So ein Scheißdreck.”
„Fuck”, stimmte Leo zu. Was war jetzt am wichtigsten? Dass Adam aus den schwitzigen Sachen rauskam? Dass er was trank? Aß? Oder sollte er besser direkt weiterschlafen? Leo spürte kurz Panik in sich aufkeimen - vielleicht war Adam schon ein Fall für den Arzt?
Dann schaffte er es selbst, tief durchatmen. Erst einmal alle Fakten schaffen.
„Ich hol kurz das Thermometer, dann sehen wir weiter, ja? Trink so lang ein paar Schlucke”, sagte Leo und bückte sich nach seiner Tasche, zog seine Trinkflasche raus und drückte sie aufgeschraubt Adam in die Hände.
Leo machte einen Umweg über die Küche und verzog unglücklich das Gesicht, als er auf dem Esstisch einen Teller mit einem angebissenen trockenen Toast und drei Minipizzen fand. Unwillkürlich stellte er sich vor, wie Adam alleine hier gesessen hatte, krank und ohne Appetit und einsam. Er straffte die Schultern - allein war Adam jetzt jedenfalls nicht mehr. Zielsicher fand er im Schrank eine Dose Hühnersuppe, die er auf niedriger Hitze in einen Topf schüttete, dann ging er ins Bad und kramte aus dem Schränkchen unter dem Waschbecken das Thermometer hervor.
Als er zurück ins Schlafzimmer kam saß Adam noch immer mit der Flasche in der Hand da, sein Blick irgendwo in weiter Ferne, bis Leo schon wieder fast am Bett stand.
„Und Mund auf”, wies ihn Leo an, aber Adam streckte stattdessen die Hand aus.
„Ich mach das”, murmelte er - nicht genervt, nur müde, dachte Leo, und er reichte ihm das Thermometer, das sich Adam unter die Zunge schob. Leo nahm ihm beim Warten die Wasserflasche ab und schraubte den Deckel wieder drauf. Er wog sie einen Moment in der Hand - eindeutig leichter als vorhin.
Das Thermometer piepste und Adam reichte es ihm wortlos zurück, bevor er sich zurücklehnte und auf den Rücken zurück ins Bett fallen ließ.
„38,7”, verkündete Leo und streckte sich, um das Thermometer auf den Nachttisch zu legen. Hoch, aber nicht Arzt-hoch. Adam hob langsam einen Arm und legte ihn sich über das Gesicht, aber Leo griff nach seinem Handgelenk und zog schwach daran.
„Noch nicht schlafen, lass uns erst das mit der Dusche angehen, und ich hab schon eine Suppe auf dem Herd stehen.”
„Och Leo”, stöhnte Adam und versuchte sich erfolglos doch den Arm über die Augen zu legen. Im Liegen klang seine Stimme noch kratziger. „Das ist Folter. Ich will echt nur pennen.”
„Na komm, dafür hast du den Folterknecht doch aus Leipzig einfliegen lassen. Du fühlst dich danach besser, versprochen.”
Adam zog noch einmal an seinem Arm, dann machte er ein nöliges Geräusch und schaffte es mit Mühe, sich wieder aufzusetzen. Leo belohnte ihn mit einem Kuss auf die verschwitzte Stirn, dann bugsierte er ihn erst an die Bettkante, dann in die Vertikale, wo Adam kurz schwankend sein Gleichgewicht suchen musste. Er musste sich an Leo festhalten, als dieser durchs Schlafzimmer führte, und grummelte, als Leo die Tür zum Flur aufstieß.
„Hell”, beschwerte sich Adam, also machte Leo dann im Bad nur das kleine Licht am Spiegel an statt dem großen Deckenlicht. Adam ließ sich auf den geschlossenen Klodeckel fallen und sah Leo mit nur halbwegs geöffneten Augen dabei zu, wie er Handtücher zusammensuchte und dann abschätzig die Dusche anstarrte.
„Wir haben doch noch irgendwo diesen Duschhocker rumstehen, den ich vom Krankenhaus bekommen hatte”, sagte Leo langsam. „Wo ist der denn gelandet? Auf dem Balkon? Oder in der Abstellkammer?”
„Bei deiner Mama”, murmelte Adam und hustete einmal aus den Tiefen seiner Lunge.
„Ach ja, mist. Naja, dann dusch ich halt zweimal am Tag”, entschied Leo und zog sich sein Shirt über dem Kopf aus. Erst als er sich die Hose aufknöpfte merkte er, dass Adam keine Anstalten machte, sich auch auszuziehen. Er hatte den Kopf hängen lassen. Leo musterte ihn, konnte nur vermuten, was ihn wieder unwillig machte.
„Ich helf dir einfach beim duschen”, erklärte Leo nochmal, „wie du mir nach dem Krankenhaus geholfen hast, hm? Ganz einfach.”
Adam schwieg, aber nach einem Moment nickte er und hob die Arme, versuchte sich ungelenk den Pulli auszuziehen. Leo trat näher und zog sanft am Kragen, bis er über dem Kopf war, dann half er ihm bei den restlichen Klamotten, drehte die Dusche auf und zog sich selbst auch aus. Das Wasser war warm, aber nicht heiß, das wäre schlecht fürs Fieber, aber Adam ließ sich nur schwer abhalten, das Thermostat höher zu drehen.
Auch mit Leos Hilfe wurde es nur eine kurze Dusche - Adams Kräfte waren praktisch nonexistent - und er ärgerte sich, dass er nicht daran gedacht hatte, direkt frische Sachen für Adam ins Bad zu bringen. So half er Adam in Handtücher gewickelt zurück ins Schlafzimmer und dann in eine frische Pyjamahose und ein T-Shirt. Unschlüssig blieb er neben Adam stehen, der wieder auf der Bettkante saß, weit vornübergebeugt und ein bisschen nach Luft schnappend.
„Ich weiss, du wirst mich jetzt dafür hassen”, fing Leo langsam an, „aber es wär wahrscheinlich besser, wenn du nochmal aufstehst und in der Küche die Suppe isst. Suppe im Bett ist glaub ich nicht so klug.”
Adam atmete tief und deutlich beschwert durch, dann hob er den Kopf, sah Leo in die Augen. „Ich könnt dich nicht hassen”, gab er zurück.
Fast 40 Grad Fieber hatte der Mann, und dann kam er mit sowas an. Leo lächelte sanft und strich Adam durchs Haar, der seinen Kopf erschöpft an Leos Bauch legte.
„Du Softie”, murmelte er. Adam schnaubte und griff nach Leos Arm, um sich hinzustellen und in die Küche führen zu lassen. Leo setzte ihn in auf seinen Stammplatz, dann füllte er die Suppe in eine Schüssel und stellte sie vor Adam ab.
„Ich bin gleich zurück, fang schonmal an”, sagte er und verschwand im Schlafzimmer, um das Bettzeug zu wechseln und durchzulüften. Im Bad wischte er schnell ein paar Wasserlachen auf und kramte ein paar Medikamente aus dem Schränkchen zusammen, dann suchte er im Wohnzimmer ein paar Minuten vergeblich nach der Wärmflasche, bis er sich erinnerte, dass er sie beim letzten Aufräumen in den Schlafzimmerschrank gepackt hatte.
Als er zurück in die Küche kam, war das leise Geräusch von Metall auf Porzellan - Löffel auf Teller - verstummt. Kein Wunder - Adam hatte den Kopf auf die Arme gebettet und auf dem Küchentisch abgelegt. Die Suppenschüssel hatte er aber brav geleert, und Leo beschloss, Adam nicht länger zu seinem Glück zu zwingen.
„Hey”, sagte er leise und ging neben Adams Stuhl in die Hocke. „Könnte ich dich jetzt zu ein paar Stunden im Bett überreden?”
„Ich glaub nicht, dass ich dazu jetzt in der Lage bin, Hölzer, danke fürs Angebot”, nuschelte Adam und schielte ihn an. Leo grinste und knuffte ihn sanft an die Schulter.
„Idiot. Na komm, bisschen was zum Fiebersenken und dann kannst du richtig schlafen.”
„Von Tabletten war eben noch keine Rede”, murrte Adam, hob aber den Kopf von der Tischplatte. Augenblicklich verzog er das Gesicht. „Okay, doch doch, gib mir alle Tabletten, die du hast. Am besten was gegen Schmerzen zuerst.”
„Wo tut’s weh?”
„Nacken. Kopf. Fuck, wo nicht?”
Leo füllte ein Wasserglas und reichte es Adam zusammen mit drei Kapseln, die Adam ohne weitere Widerworte schluckte. Deutlich unsicherer als zuvor schwankte er neben Leo zurück ins dunkle Schlafzimmer und ließ sich unter die dicke Decke schieben. Erst als Leo sich wieder aufrecht hinstellen wollte fand Adam ein bisschen Kraft, stützte sich auf den Ellbogen ab, um sich aufzurichten.
„Bleibst du nich bei mir?”
„Ich wollte nur ein bisschen aufräumen, Teller wegstellen und so.”
„Ah”, machte Adam und sank ein bisschen tiefer. Dann hob er wieder den Kopf: „Aber bleibst du vorher noch einen Moment? Nur kurz?”
Leo konnte es ihm nicht abschlagen, wenn er so direkt danach fragte. Adam musste das auf seinem Gesicht abgelesen haben, denn er rutschte auf die andere Seite vom Bett und hob die Decke an, damit Leo drunterschlüpfen konnte. Kaum lag Leo robbte Adam auch schon näher, kuschelte sich an ihn und zog sich die Decke bis unters Kinn. Leo schob einen Arm unter die Kissen, den anderen über Adams Brust und verschränkte seine Finger mit Adams.
Der atmete tief und hörbar zufrieden durch. Drückte seinen Rücken fester gegen Leos Brust.
„Danke, dass du gekommen bist. Also, aus Leipzig.”
Leo drückte Adams Hand. „Danke, dass du gefragt hast, ob ich komme.”
„Hm”, machte Adam, eine Bestätigung, dass er gehört hat, und hustete einmal kurz.
„Versuch jetzt, wieder zu schlafen. Ich geh nicht wieder weg.”
„Und die Teller?”
„Mir scheißegal.” Leo lächelte, als Adam wie erhofft belustigt schnaubte.
„Hey, klau mir nich meine Sprüche”.
„Schlaf, hab ich gesagt.”
„Folterknecht”, murmelte Adam liebevoll, kuschelte sich tiefer ins Kissen und schlief ein.
Leo lauschte einen Moment seinen ruhigen Atemzügen, dachte daran, dass sie in dieser Nacht sicherlich mehrfach aufwachen würden und das Fieber noch nicht aufgehört hatte, dass das Licht im Flur noch an war und er für morgen eigentlich schonmal Gemüse hatte schnibbeln wollen, dass er sich wahrscheinlich anstecken würde und dass Adam in seinen Armen sicher mehr schwitzte als ohne ihn.
Dann schloss er die Augen und schlief augenblicklich ein.
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