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Die Zeit heilt viele Wunden, manche sind geblieben.

Summary:

Vor diesem Tisch stand nun die ältere Dame. Mit der rechten Hand glitt sie über die Bücher, drehte eins und las sich die Rückseite durch, bevor sie es wieder senkte und ihren Blick auf das Porträt richtete. Leo konnte nun nur noch ihren Rücken sehen und wie sich die Schultern bebend hoben und senkten.
Stirnrunzelnd kam er hinter dem Tresen hervor und ging auf die Frau zu, die nun aus ihrer Handtasche ein Taschentuch zog und versuchte sich unauffällig die Augen abzutupfen.
„Hallo, kann ich Ihnen behilflich sein?“
Sie schrak zusammen und fuhr zu ihm herum. Etwas an ihrem Gesicht wirkte vertraut auf Leo. Vielleicht hatte er sie schon mal bei sich im Laden oder irgendwo in der Stadt gesehen.
Hastig schüttelte sie den Kopf und senkte den Blick. „Nein“, sagte sie leise und Leo sah, wie sie schwer schluckte. „Ich glaube nicht.“ Aus den Augenwinkeln schien sie wieder auf die Bücher zu blicken. 

 

 

Leo trifft jemanden aus Adams Vergangenheit und tritt damit eine Welle der Erinnerungen los. Am Ende bleibt die Frage: Kann die Zeit wirklich alle Wunden heilen?

Notes:

Nach einem Jahr Pause freue ich mich, wieder in dieses AU-Setting einzutauchen. Die Geschichte lag schon eine Weile als Entwurf in meinem Ordner und nun ist sie bereit, erzählt zu werden.

Ich danke vielmals atthefishhouses fürs das Beta-Lesen!

Hinweis: Dies ist der 6. Teil der Reihe. Es hilft dem Verständnis, wenn man die anderen Teile vorher gelesen hat!

Der Titel ist inspiriert aus dem Lied Silvester von Olli Schulz

(See the end of the work for more notes.)

Chapter Text

Die Zeit heilt viele Wunden, manche sind geblieben.

1. Kapitel

Sehnsüchtig glitt Leos Blick immer wieder zur Uhr über der Ladentür. 

Es war Samstagnachmittag und fast an der Zeit, den Laden zu schließen. Der Tag war zäh gewesen und hatte sich gezogen. Die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres hatten halb Saarbrücken in die Natur oder in die Eisdielen gezogen. Vereinzelt hatte sich jemand in die Buchhandlung verirrt, doch das große Wochenendgeschäft war ausgeblieben. 

Leo konnte es verstehen. Er wäre bei dem Wetter auch lieber auf einem ausgedehnten Spaziergang mit Adam im Wald oder säße gemütlich mit ihm bei einem Eis -- oder in Adams Fall mit dem größten Eisbecher, den der Laden zu bieten hatte -- in einem der Korbstühle und ließe sich die Sonne ins Gesicht scheinen. 

Doch hier stand er nun und klammerte sich an die Aussicht, dass er nur noch eine halbe Stunde geöffnet hatte.

Vielleicht konnte er auch einfach früher schließen und zu Adam fahren, der Leos Mutter half, den Garten für das Frühjahr vorzubereiten. Leos Schwager hatte sich auch angekündigt und nach getaner Arbeit würden sie den Schwenker anwerfen. Der Gedanke an einen gemütlichen Abend in der Familie ließ Leos Herz höherschlagen. 

Die Ladenglocke klingelte und riss Leo aus den Tagträumen, wie er sich gleich an Adam kuscheln könnte, der wahrscheinlich noch leicht nach Erde, Schweiß und frischer Luft riechen würde. Die blonden Strähnen würden ihm noch verschwitzt in die Stirn hängen und die Wangen vor Anstrengung und Kälte glühen. Doch vor allem würden seine Augen leuchten, wenn er Leo mit stolz geschwellter Brust zeigte, was sie vollbracht hatten.

Eine ältere Dame mit modischer Kurzhaarfrisur und in eleganter Kleidung stand unschlüssig im Laden. Die grauen Haare gaben ihrem Gesicht etwas Markantes, auch wenn es ein wenig eingesunken wirkte mit den hellen, großen Augen. 

Ihre Hände klammerten sich an die Handtasche und schienen leicht zu zittern. Zögerlich trat sie einen weiteren Schritt in den Laden und sah sich um. Ihr Blick glitt über die hellen Regale voller Bücher, vorbei an den Pflanzkübeln, die in den Ecken standen oder deren Bewohner an den Regalen hinunter ragten. 

Die neue Einrichtung des Ladens war Leos ganzer Stolz. Es hatte Monate gedauert, bis alles nach seinen Wünschen fertiggestellt war. An die Kreditsumme, die sie nun jeden Monat abzahlen mussten, wollte er gar nicht erst denken. Adam hatte ihm oft genug ins Gewissen geredet, dass er sich davon nicht die Freude über seinen neuen Laden verderben lassen sollte. Leos Bücherwald war die Erfüllung seines Traumes und er durfte stolz darauf sein.

Der Blick der Frau blieb an dem Büchertisch hängen, auf dem Leo Adams ersten Roman in Szene gesetzt hatte.

Seit wenigen Wochen war er nun erschienen und Leo hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Buch einen eigenen Platz zu widmen. 

Es war ein offenes Geheimnis, dass sich hinter Daniel Schwerter Adam verbarg. Fast jeder in Saarbrücken wusste das und auch, dass der schreibende Kriminalhauptkommissar Leos Ehemann war. So hatte es kaum jemand gewundert, als Leo den Tisch aufgebaut und neben den Büchern auch noch das gerahmte Autorenbild aufgestellt hatte. Idealerweise in Sichtweite des Verkaufstresen, so dass Leo nur den Kopf heben brauchte, um in Adams Gesicht sehen zu können - auch wenn ihm die Liveversion deutlich lieber war. 

Der Fotograf hatte es allerdings verstanden, Adam ins richtige Licht zu rücken. Auf dem Bild lächelte er sein verlegenes Lächeln, bei dem ein Mundwinkel leicht nach oben rutschte und ein Grübchen freigab. Die blauen Augen funkelten und wirken noch intensiver als in natura. Der schwarze Rollkragenpullover, den Adam trug, betonte seine schmale Statur, auch wenn man kaum etwas davon sah. Leo wusste um sie und es reichte ihm an manchen Tagen, die Stunden bis zu ihrem Wiedersehen unerträglich lang zu machen. 

Vor diesem Tisch stand nun die ältere Dame. Mit der rechten Hand glitt sie über die Bücher, drehte eins und las sich die Rückseite durch, bevor sie es wieder zurück zu den anderen legte und ihren Blick auf das Porträt richtete. Leo konnte nun nur noch ihren Rücken sehen und wie sich die Schultern bebend hoben und senkten. 

Stirnrunzelnd kam er hinter dem Tresen hervor und ging auf die Frau zu, die nun aus ihrer Handtasche ein Taschentuch zog und versuchte sich unauffällig die Augen abzutupfen. 

„Hallo, kann ich Ihnen behilflich sein?“ 

Sie schrak zusammen und fuhr zu ihm herum. Etwas an ihrem Gesicht wirkte auf Leo vertraut. Vielleicht hatte er sie schon mal bei sich im Laden oder irgendwo in der Stadt gesehen. 

Hastig schüttelte sie den Kopf und senkte den Blick. „Nein“, sagte sie leise und Leo sah, wie sie schwer schluckte. „Ich glaube nicht.“ Aus den Augenwinkeln schien sie wieder auf die Bücher zu blicken. 

Leo griff nach einem. „Suchen Sie nach einem guten Krimi aus der Region? Diesen kann ich Ihnen wärmstens empfehlen. Der Autor stammt aus Saarbrücken.“ 

Die Frau lächelte schwach und in ihren Augen glitzerte es verdächtig.  „Ich weiß“, kam es kaum hörbar und mit rauer Stimme. „Ich kenne ihn.“

Eine betretene Stille legte sie über sie, die Leo unangenehm im Nacken prickelte. Er hatte das manchmal mit Kunden, wo er nicht wusste, ob sie eine Beratung wünschen oder doch lieber in Ruhe gelassen werden wollten. 

Die Frau sah wieder auf Adams Bild und Leo meinte ein wehmütiges Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen.

„Können Sie das Buch empfehlen?“, fragte sie leise an, ohne ihren Blick von dem Bild abzuwenden. 

Leo lachte verhalten auf und kratzte sich am Nacken. „Ich bin da vielleicht nicht ganz unparteiisch, aber ja, ich kann das Buch besten Gewissens empfehlen.“ 

Konnte er rein objektiv gesehen wirklich. Adam schrieb gut. Seine Figuren waren gut durchdacht, liebevoll erarbeitet und auch das Vorgehen des Kommissars war durch realistisches, aber dennoch unterhaltsames Verhalten gezeichnet. Leo spürte die Liebe zu den Figuren auf jeder Seite und liebte Adam dafür noch mehr. 

Die Fremde richtete ihre Aufmerksamkeit auf Leo und sah ihn neugierig an.

„Nicht unparteiisch? Kennen Sie ihn persönlich?“

Leo nickte verlegen. „Er ist mein Mann.“ 

Es fehlte noch, dass Leo ihr den Finger mit dem Ring unter die Nase hielt. Böse Zungen - seine Schwester - würden behaupten, dass er das bei jeder sich bietenden Gelegenheit tat, seit Adam und er im kleinen Familienkreis geheiratet hatten. Es stimmte nicht, aber Leo würde lügen, wenn er behauptet, nicht stolz auf seinen Mann zu sein.

Das Gesicht der Frau verlor mit einem Schlag an Farbe und Leos Lächeln fiel in sich zusammen. Er trat hastig einen Schritt vor, streckte die Hand nach ihr aus, falls sie drohte, in Ohnmacht zu fallen. 

„Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte Leo besorgt und war dankbar, als die Frau sich selbst auf eine der schmalen Bänke setzte, die Hände verkrampft um den Henkel ihrer Tasche. 

Sie schüttelte den Kopf. „Verzeihen Sie…mir ist etwas blümerant.“

„Bleiben Sie bitte einen Moment sitzen, ich hole Ihnen ein Glas Wasser.“

Leo eilte in die kleine Teeküche und kehrte mit einem Glas Wasser zu der Kundin zurück, die mit abwesender Miene auf den Tisch mit Adams Büchern starrte. Behutsam drückte er ihr das Glas in die Hand und riss sie aus der Tiefe ihrer Gedanken. 

Zaghaft lächelte sie ihn an und trank das Glas in kleinen Schlucken leer, bevor sie es wieder an Leo reichte. Auch Farbe war in ihre Wangen zurückgekehrt.

„Ich bedauere es, Ihnen Umstände gemacht zu haben“, sagte sie leise und ihre Finger spielten nervös mit den Riemen ihrer Tasche.

„Wirklich keine Ursache“, sagte Leo und lächelte sie freundlich an. „Geht es Ihnen denn besser?“

Die Frau nickte und erhob sich langsam von der Bank. Leo blieb wachsam, falls sie sich doch überschätzen und ihr die Beine doch noch wegsacken würden. 

„Wegen des Buches…“ Sie seufzte und brach ab. „Egal.“

Sie straffte ihre Schultern und schenkte Leo ein unverbindliches Lächeln. Überrascht blinzelte er. 

„Wenn Sie möchten, lege ich Ihnen das Buch zurück, falls Sie es lieber ein anderes Mal mitnehmen möchten.“

Einen Moment lang zögerte sie, schien die Bücherauslage noch einmal zu prüfen. 

Eigentlich war es nicht nötig, ein Buch für sie zurückzulegen. Er hatte genug im Laden und im Zweifel käme er schnell an Nachschub. Irgendetwas war jedoch an der Frau, dass Leos Neugierde weckte. Sie schien verloren, ohne Orientierung und etwas schien die Bücher in ihr zu bewegen, sie förmlich aufzuwühlen. 

Leo ging zum Tresen und holte Zettel und Stift. „Wenn Sie möchten, schreiben Sie mir Ihren Kontakt auf. Dann reserviere ich es unverbindlich für ein paar Tage für Sie oder melde mich bei Ihnen, falls der Vorrat zu Neige geht.“

Die Frau zögerte, sah vom Zettel, dann in Leos Gesicht, als würde sie ihre Optionen abzuwägen. 

„In Ordnung“, sagte sie leise, aber mit fester Stimme, nahm Leo den Zettel ab und wandte sich ab, um ihre Details niederzuschreiben. 

„Soll ich Ihnen vielleicht ein Taxi rufen, falls Sie es noch weit haben? Sie sind immer noch ein wenig blass um die Nase“, fragte Leo vorsichtig nach, als sie ihm den Zettel in die Hand drückte und sie mit zittriger Hand über die weißblonden Haare strich.

Ein unsicheres Lächeln auf den Lippen schüttelte die Frau den Kopf. „Nicht nötig, ich wohne nicht weit von hier.“ Sie umklammerte die Henkel ihrer Tasche fester, ihre Augen waren nun fest auf Leo gerichtet und sie sah ihn prüfend an. „Sie sind wirklich sehr nett, Herr Hölzer. Ihr Mann kann sich glücklich schätzen mit Ihnen.“ 

Sie nickte ihm zu, ehe sie mit hängenden Schultern den Laden verließ und Leo ihr mit gerunzelter Stirn nachsah.

Etwas war an dieser Begegnung merkwürdig, in Leos Magen rumorte es und er hatte das Gefühl, als würde er etwas Wichtiges übersehen. Als müsste er die Frau kennen, die ihm mit ihren blassblauen Augen und dem weichen Blick so vertraut vorkam. Vielleicht eine alte Lehrerin aus der Grundschule? Ihre steife Haltung könnte darauf hindeuten. Oder eine Stammkundin seines Vaters, die früher oft hier gewesen war?

Ihm fiel der Zettel in seiner Hand wieder ein und dass er des Rätsels Lösung förmlich in den Händen hielt. In leicht schrägen Lettern standen da ein Name und eine Adresse.

Das Rumoren in seinem Magen stoppte abrupt und machte einer kalten Faust Platz. Ihm war schlagartig klar, woher dieses vertraute Gefühl stammte, warum dieser Blick etwas in ihm ansprach und er sich um die Frau kümmern wollte.

Leos Hand bebte, als er den Zettel langsam sinken ließ und auf die Ladentür starrte, durch die die Frau vor wenigen Minuten verschwunden war. 

Heide Schürk. Adams Mutter. 




Die Begegnung ließ Leo den restlichen Nachmittag und auch den Abend nicht los.

Er hatte den Laden kurz nach Heide Schürk geschlossen und war zu seiner Mutter gefahren, wo er einen erschöpften, aber glücklichen Adam in einem der neuen Rattansessel auf der Terrasse gefunden hatte.

Ein wenig Erde klebte seinem Mann an der Wange und in den Haaren, aber die Frühlingsluft und die Sonne hatten ihm die Blässe des Winters aus dem Gesicht getrieben und er sah mit strahlenden Augen zu Leo auf. 

Adams Augen waren damals das Erste an ihm gewesen, was Leo in Bann gezogen hatte. Dieses intensive Blau, das ihn die meisten Tage an Sommertage am Meer erinnerte, wie er sie in seiner Kindheit verlebt hatte und das ihm ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit spendete. 

Die Augen von Adams Mutter waren weniger intensiv, mehr die Farbe des Himmels nach Sonnenaufgang an einem eisigen Wintermorgen, der Eiskristalle an die Fenster malte. 

Leo ertappte sich, wie er weitere Ähnlichkeiten zwischen Adam und seiner Mutter suchte, während sie um den neuen Tisch auf der Terrasse saßen und sich Salate und Grillgut schmecken ließen. Caro und Leni waren zum Abendessen zu ihnen gestoßen und seine Nichte hatte sich sofort an Adam gehangen und die beide steckten tuschelnd die Köpfe über Lenis Handy zusammen. 

Ihm fielen die langgliedrigen Finger auf, die auf etwas auf Lenis Display deuteten und die sich so gut auf Leos Körper anfühlten, wenn sie genau die richtigen Stellen fanden. Leo vergaß die Zeit, wenn Adams Hand sich beim Lesen im Bett in seine Haare verirrte und sanft und ein wenig geistesabwesend seine Kopfhaut kraulte.

In diesen Momenten schien sein Herz, um eine Größe anzuschwellen und viel zu groß für seine Brust zu werden. Adam war alles, was er sich seit seiner Jugend erträumt hatte. Ein Partner an seiner Seite, der mit ihm jeden Tag eine neue Seite in ihrem gemeinsamen Buch des Lebens schrieb. Ein Partner, bei dem er das Gefühl hat, dass er der Hauptcharakter in dessen Leben war, sowie er bei ihm. Ein Partner, mit dem ihre gemeinsame Geschichte ein Epos und keine Kurzgeschichte war.

Adam musste Leos Blick auf sich gespürt haben, denn er sah mit einem weichen Lächeln zu ihm auf. Dieses besondere Lächeln, bei dem nur ein Mundwinkel nach oben zuckte und ihn so jung wirken ließ.

Er hatte vorhin dasselbe Lächeln auf Heide Schürks Gesicht gesehen, als sie Adams Bücher betrachtet hatte, nur hatte sich darunter Wehmut gemischt. Und Leo verstand jetzt auch wieso.

Seufzend griff er nach seinem Radler und nahm einen großen Schluck. Er hatte sich nie viele Gedanken um Adams Eltern gemacht. Alles, was er von Adam über sie wusste, hatte gereicht, dass Leo ihnen nicht begegnen wollte . Nur jetzt hatte er Adams Mutter getroffen und sie war nicht die kalte Frau, die er sich immer vorgestellt hatte. Sie war unsicher gewesen, hatte verloren gewirkt, und auf der Suche nach etwas, vermutlich nach einem Weg, sich ihrem Sohn nah zu fühlen.

Hatte Adam nicht mal erzählt, dass er in einer der Bonzenvillen am anderen Ende der Stadt aufgewachsen war? Einem hässlichen Betonneubau, der jedes Leben und Licht schluckte. Die Adresse auf dem Kärtchen war allerdings fußläufig zur Buchhandlung. Leo kannte die Gegend mit ihren schmucken Altbauwohnungen und den prächtigen, in die Jahre gekommenen Fassaden. Etwas musste sich verändert haben, wenn sie jetzt dort wohnte.

Zwei kräftige Arme schlangen sich um seine Schultern und rissen Leo aus seinen Gedanken. Er roch den leichten Geruch nach Erde, Schweiß und etwas, das unverkennbar Adam war. Ein sanfter Kuss wurde gegen seine Schläfe gepresst und Leo lehnte sich mit einem tonlosen Seufzen der Berührung entgegen.

„Du siehst fertig aus“, murmelte Adam an seinem Ohr. „Wollen wir besser nach Hause?“

Reflexartig wollte Leo verneinen. Was hatte er schon für Gründe, erschöpft zu sein? Er hatte den ganzen Tag im Laden gestanden und sich gelangweilt, während Adam hier im Garten geschuftet hat. Wenn jemand Gründe hatte, erschöpft zu sein, dann Adam. Und anscheinend genoss Adam gerade das Beisammensein mit ihrer Familie.

Was spielte es da für eine Rolle, dass Leo sich gerade in Gedanken verlor und sich am liebsten mit Adam auf ihrer Couch einrollen würde. Vielleicht würde Leo einen Weg finden, wie er die Begegnung mit Adams Mutter bei ihm ansprechen könnte, ohne dass er Adam damit verletzte.

Leo legte seine Arme auf Adams Unterarme und strich über die feinen blonden Haare. „Adam, wir können noch bleiben, wenn du willst.“

Adam stieß eine Art Knurren aus und gab ihm eine liebevolle Kopfnuss. „Leo, du wirkst abwesend und als würdest du lieber zuhause sein wollen. Und ich will am liebsten da sein, wo du bist.“

Er löste ihre Umarmung und drehte Leo mit sanfter Gewalt zu sich. Die blauen Augen huschten prüfend über Leos Gesicht und er merkte, wie sein Widerstand langsam bröckelte.

„Okay, lass uns nach Hause fahren“, gab er mit einem Seufzen nach und bekam als Belohnung einen festen Kuss von Adam auf die Lippen gedrückt.

„Na dann los, Tiger.“




Nach einer gemeinsamen heißen Dusche, zu der Adam ihn unter fadenscheinigen Gründen - Wir können so Wasser sparen, Leo - überredet hat, lagen sie nun in ihre Bücher vertieft auf der Couch. Adams Kopf lag, wie so oft in Leos Schoß, so dass er die Arme in einem merkwürdigen Winkel ausstrecken musste, um sein Buch zu lesen. Leo hatte schon öfters angemerkt, dass diese Position alles andere als bequem sein konnte, doch Adam bevorzugte sie.

Wahrscheinlich, weil Leo so seinerseits seine Hand beim Lesen durch Adams Haare gleiten lassen konnte und Adam das wie eine schnurrende Katze genoss.

Normalerweise entspannte Leo diese gemeinsame Entschleunigung des Tages, wenn sie sich nah waren und doch jeder dank seines Buches in seiner eigenen Welt steckte.

Nur heute wollte es nicht so recht gelingen, dass Leo die Anspannung des Tages abschüttelte und er sich vollends auf sein Buch und Adam konzentrierte.

Er hatte die Seite bereits zum fünften Mal gelesen, ohne ein Wort überhaupt wahrzunehmen, da seufzte Adam in seinem Schoß unglücklich und schlug sein Buch zu.

Überrascht blinzelte Leo zu seinem Mann hinunter, der ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen und steiler Denkerfurche dazwischen von unten ansah.

„Was ist? Ist das Buch nicht gut?“, fragte Leo und nickte mit dem Kinn auf das Buch, das Adam auf seiner Brust abgelegt hatte. Ein neuer Vampirroman, irgendwie kam dieser Trend gerade zurück auf den Markt.

„Das Buch ist fantastisch. Da hat mir mein Buchhändler des Herzens was Gutes empfohlen. Nur kann ich es nicht genießen, wenn ich förmlich höre, wie angespannt du bist.“

Adam richtete sich mit einem leisen Ächzen auf und schob sich in eine sitzende Position neben ihm. Er griff nach Leos Buch, legte das Lesezeichen an die richtige Stelle und klappte es zu.

„Was ist los, Leo?“ Er klang ehrlich besorgt und Leo überkam das schlechte Gewissen. Wenn er eins nicht wollte, dann dass Adam sich unnötig Sorgen machte. Warum konnte er nicht einfach die Begegnung abschütteln und es gut sein lassen?

„Hey!“ Eine warme Hand legte sich an sein Kinn und zwang ihn, zu Adam aufzusehen. „Du kannst mit mir doch über alles reden.“

Da lag so viel ehrliche Sorge, Wärme und Liebe in Adams Augen, dass es Leos schlechtes Gewissen nur noch verstärkte. Wenn er ansprach, was ihn beschäftigte, wurde er eine Bombe zünden, ohne zu wissen, ob sie hochgehen würde.

Doch fußte nicht ihre gesamte Beziehung auf Ehrlichkeit und dass sie einander nichts verheimlichten? Er konnte es nicht von Adam verlangen und sich selbst in Schweigen hüllen.

Er nahm einen tiefen Atemzug und tastete nach Adams Hand. Ohne Zögern schoben sich die langen Finger zwischen Leos und drückten versichernd zu.

„Da war heute eine Frau in der Buchhandlung. Kurz bevor ich den Laden schließen wollte.“ Für einen Moment stockte er und Adam nickte ihm aufmunternd zu. „Sie hat ziemlich lange vor der Auslage mit deinen Büchern gestanden, als wüsste sie nicht, ob sie eins kaufen soll.“

Ein leises Lachschnauben entwich Adam. „Und? Hat sie eins gekauft?“

Leo schüttelte den Kopf und senkte den Blick.

„Hey Leo!“ Adam drückte seine Hand und strich tröstend mit dem Daumen über seinen Handrücken. „Ist doch nicht schlimm, dass du mal nicht ein Buch von mir verkauft hast. Du hast es mittlerweile genug Leuten voller Enthusiasmus aufgeschwatzt.“

Adam lachte über seine eigene Bemerkung und versuchte wieder Augenkontakt mit Leo herzustellen. Wenn es nur die Enttäuschung über ein unverkauftes Buch wäre, die Leo beschäftigte.

„Das ist es nicht, Adam“, seufzte er und fuhr sich mit der freien Hand über das Gesicht. „Ich habe ihr ein bisschen von dir und dem Buch vorgeschwärmt. Sie wirkte auch sehr interessiert. Als ich erwähnte, dass du mein Mann bist, wurde sie blass.“

„Also war sie so eine homophobe Schachtel, die keine Bücher von Schwulen kauft?“ Da schwang ein Hauch Zorn in seiner Stimme mit und die Hand in seiner zuckte, als würde er sie zur Faust ballen wollen.

„Nein, sie hat sich das Buch sogar zurücklegen lassen.“

„Wo ist dann das Problem?“ Die Denkerfurche war zurück und noch tiefer. Leo wusste, dass er für Adam gerade keinen Sinn machte, wenn er um das eigentliche Problem herum schlich.

Er straffte seine Schultern und umklammerte Adams Hand noch ein wenig fester.

„Ich habe den Namen und die Kontakte der Frau notiert.“ Leo nahm einen zitternden Atemzug. „Adam, die Frau war deine Mutter.“

Adam erstarrte, die Augen weit aufgerissen. Entsetzen spiegelte sich in ihnen und er wich ein Stück vor Leo zurück. Seine Hand löste sich von Leos und ehe Leo ihn zurückhalten konnte, war er von der Couch aufgesprungen und aus dem Zimmer gestürmt.