Chapter Text
“There were forces at work that you have never considered,” Eris said coldly. “And I am not going to waste my breath explaining them to you. Believe what you want about me.”
„Warum hast du Mor zum Sterben in diesen Wäldern zurückgelassen?“, herrschte Azriel Eris an.
Beide Fae standen sich unmittelbar in der Mitte einer faeverlassenen, kleinen Höhle der Hewn City gegenüber, ihr Gespräch durch Wards geschützt. Ein einziges, schwaches Faelicht hing direkt über beiden, und spendete gerade genug Helligkeit, um Eris üppigen Schmuck und sein goldverziertes Doublet aus smaragdfarbenen Samt zum Funkeln zu bringen. Azriels schwarze Lederkluft hingegen schien alles Licht in sich aufzusaugen. Nur seine schwarzen Haare schimmerten blau unter dem Schein der Lampe. Der Rest der Höhle, samt ihrer felszerklüfteten Wände, war in schattiges Dunkel getaucht.
Eris verdrehte die Augen. „Wir landen immer wieder bei diesem einen Tag, beim immer gleichen Vorwurf.“ Er äffte Azriels Stimme nach: „Du hast sie in den Wäldern zurückgelassen!“ Er reckte das Kinn kampflustig nach vorne und sah Azriel mit seinen bernsteinfarbenen Augen durchdringend an. „Ist euch Nachthofbastarden schon einmal aufgefallen, dass ihr mir immer und immer wieder den gleichen Vorwurf macht? Habt ihr euch das auf eure Unterarme tätowiert, denn es scheint mir, als benutzt ihr sogar jedes Mal den gleichen Wortlaut?“
Azriel faltete seine Schwingen drohend auf, seine Schatten waberten um ihn herum. „Lenk nicht ab. Es spielt keine Rolle, in welchen Worten der Vorwurf formuliert wird. Du hast sie dort zum Sterben zurückgelassen.“, sagte er mit tödlicher Ruhe.
Mit jedem folgenden Satz machte er einen Schritt nach vorne. Seine körperliche Präsenz und sein Tonfall waren so eindringlich, dass Eris Stück für Stück näher an die raue Wand zurückgedrängt wurde. „Skrupellos und grausam. Mit drei langen Nägeln in ihrem Bauch. Du hättest sie retten können. Aber du hast sie in den Wäldern zurückgelassen.“ Eris wich nach und nach zurück, bis er den Felsen an seinem Rücken spürte.
Azriel legte seine vernarbten Hände an Eris‘ Schultern und drückte ihn gegen die Wand. Wie Tentakel züngelten einige Schatten auf seinen Armen in Eris‘ Richtung. Nur noch wenige Zentimeter trennten die Gesichter der beiden. „Wenn unsere Allianz und all deine ehrgeizigen Pläne nicht augenblicklich enden sollen, Vanserra, dann wirst du jetzt aufdecken, welche Kräfte am Werk gewesen seien sollen, die wir nicht berücksichtigt haben.“
Wenn das spitze Gestein in seinem Rücken Eris Schmerzen bereitete, so konnte man es seinem Gesicht nicht ansehen. Seine Körperhaltung straffte sich in dem Moment, als Azriel seine Forderung an ihn stellte. Trotz der beengten Lage lächelte er mit einem Mal hintergründig. „Du willst also unbedingt wissen, was wirklich geschah damals… meine ungeschminkte Version der Ereignisse?“
Mit einer nicht unerheblichen Kraftanstrengung drückte er Azriel eine Armlänge weg von sich. Die Luft um ihn herum wurde heißer. Azriel ließ seine Hände und Schwingen langsam sinken, doch sein Körper blieb angespannt, bereit in jeder Sekunde sein Gegenüber wieder zu packen.
Die Schultern leicht ausschüttelnd, fuhr Eris mit lauterer, aber ruhiger Stimme fort. „Nun gut, Schattensänger, ich gewähre dir deinen Wunsch. Aber nur unter einer Bedingung: Wir schließen einen Handel. Denn wie wir soeben wieder gesehen haben, hast du dich nicht unter Kontrolle, wenn Morrigan und ich im Spiel sind. Wenn wir keinen Handel eingehen, dann wirst du mich das Ende der Geschichte nicht erzählen lassen. Und das wird auch das Ende der Allianz bedeuten.“
Eris zuckte nonchalant mit den Schultern. „Aber dann wirst du nie erfahren, was wirklich passiert ist.“ Mit einem ausforschenden Blick fragte er: „Also – willst du deinen Trieben folgen oder willst du die Wahrheit wissen“?
Azriels Nasenflügel kräuselten sich leicht, als er die Luft einsog. Er schwieg zu der Frage.
„Unser Handel, Schattensänger, sieht folgendermaßen aus: Du erfährst meine Wahrheit über die damaligen Ereignisse. Dafür musst du dir zwei Versionen der Geschichte anhören. Zuerst die einfache Variante. Bei dieser wirst du mich nicht unterbrechen… und spar dir das An-Wände-Drücken auf für wen auch immer du in deinem Privatleben bespringst.“
Eris machte eine Pause und sah Azriel auffordernd an. Als dieser mit einem halben Kopfnicken Zustimmung signalisierte, kehrte das gewohnte, selbstsichere Grinsen auf Eris‘ Gesicht zurück. Er fuhr mit einer Spur Herablassung in der Stimme fort: „Danach wirst du mich noch mehr hassen, mich noch mehr gegen den Felsen pressen wollen, mich schlagen wollen und was auch immer euch illyrischen Schlägertypen einfallen mag an roher, sinnfreier Brutalität.“
Azriels Augen verengten sich zu Schlitzen. Seine Schatten sammelten sich auf seiner Schulter, als würden sie von der erhöhten Position aus Eris beäugen.
Als er die nächsten Bedingungen stellte, wurde Eris ernst. „Daher wird ein Teil des Handels sein, dass du jegliche körperliche Gewalt unterlässt und stattdessen ein Glas Whiskey trinkst. Dann wirst du dir den zweiten, komplizierten und politischen Teil der Geschichte bis zum Ende anhören. Hier solltest du mir dann Fragen stellen, um es auch wirklich zu verstehen. Mit dem Handel wirst du dich zuletzt dazu verpflichten, dass du über das, was ich dir erzähle, gegenüber allen anderen Personen schweigst. Mit ‚Schweigen‘ meine ich keinerlei Kommunikation über alles, was wir hier im Folgenden reden.“ Er macht eine unbestimmte Geste, die wohl den Raum umfassen sollte. „So wenig wie du sonst redest, sollte das ja ein Leichtes für dich sein.“
Azriel fixierte Eris mit unbewegtem Gesicht. Das Flickern seiner Augenlider ließ erahnen, dass Azriel abwog, welche Schlupflöcher die Worte des Handels beinhalten mochten. Nach einigen Augenblicken schnaubte er schließlich: „Woher nehmen wir das Glas Whiskey für den Handel …?“
„Nun, das ist nichts, was ich nicht bedacht hätte…“, erwiderte Eris trocken, griff mit einer Hand seitlich in die Luft und holte aus der Tasche zwischen den Welten eine Flasche mit bernsteinfarbener Flüssigkeit heraus. Im Schein des schwachen Faelichts schimmerte der Whiskey in der Farbe von Eris‘ Augen. „Wenn du übergroße Fledermaus für einen Augenblick den Drang unterdrücken kannst, mich zu bedrängen, werde ich sie irgendwo hinstellen und das Glas dazu besorgen.“, sagte er im beiläufigen Tonfall eines Bartenders, der einem Stammgast seinen gewohnten Drink serviert.
Irritiert von Eris‘ Gelassenheit rückte Azriel tatsächlich einen weiteren Schritt von Eris ab. Dieser zog mit der freien Hand sein elegantes Doublet gerade und schüttelte seine langen, roten Haare aus, die sich wie von selbst zu ordnen schienen. Einen Moment später strahlte Eris wieder die Aura des makellosen Prinzen aus. Er stellte die Whiskeyflasche auf eine Felsausbuchtung neben den beiden, als wäre sie ein Serviertischchen, und zauberte zwei passende Gläser dazu.
Azriels Gesicht war zwar eine stoische Maske, aber das Schweigen verriet, dass er innerlich uneins war, ob er den Handel annehmen solle. Schließlich richtete sich Azriel zu voller Größe auf, entfaltete seine Schwingen und tauchte Eris damit in den Schatten seiner massigen Gestalt. „In Ordnung.“, erwiderte er kurz angebunden mit tiefer Stimme. Er ging einen Schritt auf Eris zu und sprach die magischen Worte. „Wir haben einen Handel.“
„Wir haben einen Handel.“, erwiderte Eris. Die Luft vibrierte kurz vor alter Magie, als der Bund besiegelt wurde.
Azriel faltete seine Schwingen wieder zusammen. Er ließ nun endgültig von Eris ab und schritt seitlich an den Rand der Höhle, ohne Eris aus den Augen zu lassen. Dort angekommen, lehnte er sich lässig gegen einen der Felsen. Die Umrisse seiner dunklen Gestalt verschmolzen mit den Schatten des Felsens. Während sein Körper sich entspannte, verloren die haselnussbraunen Augen nichts von Ihrer Intensität. Sie fixierten Eris abwartend.
Ein selbstzufriedenes Lächeln huschte über Eris' Gesicht und er trat zurück ins Faelicht, aus dem ihn der Schattensänger zuvor gedrängt hatte. Er hob die Hände, wie es die Erzählerinnen taten, wenn sie die Runde der Zuschauenden zum Schweigen bringen wollten. Im Faelicht wirkte seine helle Haut noch blasser als ohnehin, und scharfe Schatten akzentuierten seine Gesichtszüge. Als er Azriels Blick sah, fing er ihn auf und ließ der Stille zwischen den beiden Raum. Einige Momente versenkten sich ihre Blicke ineinander. Gerade als Azriels Schwingen leicht zuckten und er ansetzte, die Stille zu unterbrechen, fing Eris an zu erzählen.
„Hier ist also die einfache Version der Geschichte.“, begann er zunächst belehrend, um dann zu einem eisigen Tonfall umzuschwenken. „Morrigan hat mich bis ins Mark gedemütigt, indem sie sich von Cassian entjungfern ließ.“ Eris grimmiger Blick verriet, dass er dies damals wirklich so empfunden haben musste.
Nach einem kurzen Moment des Schweigens schnaubte Eris kurz und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es geht hierbei nicht um den Sex an sich oder gar um Eifersucht – meine Güte, bei der Mutter, mir war und ist vollkommen egal, mit wem es Morrigan zu treiben beliebt. Mir war schon als junger Fae klar, dass der ganze Unsinn mit Reinheit und Jungfräulichkeit nur dazu dient, um Frauen an der kurzen Leine zu halten.“
Er hielt inne und sein Blick schweifte kurz in die Ferne, als würde er an etwas – oder jemanden – denken. Er richtete aber gleich wieder seine Augen auf Azriel.
„Ich habe damals durchaus verstanden, dass dies für Morrigan eine Möglichkeit war, um unserer Heirat zu entkommen. Das Problem war, politisch hat sie in vollem Bewusstsein meinen Ruf und mein Leben gefährdet: Meine Zukünftige schläft lieber mit einem dahergelaufenen Bastard, als mich – den Kronprinzen des Herbsthofes! – zu heiraten. Als wäre ich so minderwertig und so fürchterlich, dass selbst ein armer, vollkommen statusloser Schlagetot und die Besudelung ihrer eigenen Ehre die bessere Wahl ist.“
Eris lachte kurz bitter auf. „Die Fae des Herbsthofes sind traditionell und konservativ und vor allem: Sie nutzen jede Schwäche des anderen gnadenlos aus. Im Herbsthof ist der Angriff auf den eigenen Ruf genauso bedeutsam wie ein Angriff auf den eigenen Körper. Ein Kronprinz, der sich so etwas gefallen lässt, ist kein Kronprinz und auch kein Prinz mehr. Er ist nur noch ein verachtenswerter Schwächling. Mir blieb also gar nichts anderes übrig, als Morrigans Angriff gegen mich zu parieren. Und das ging nur, indem ich ihre eigene Tat gegen sie verwendete und sie selbst so hart wie möglich beleidigte.“
Eris nahm einen tiefen Atemzug und wiederholte die damals gesprochenen Worte mit einer Verachtung, als erlebte er den Moment erneut: „Morrigan hat sich von einem niedriggeborenen Fae-Bastard besudeln lassen. Ich ficke lieber eine Sau als sie.“
Azriel schnellte aus seiner lässigen Haltung hervor und kam nur wenige Zentimeter vor Eris zum Halten. Ein tiefes Knurren kroch aus seiner Kehle und seine Blicke durchbohrten den Prinzen voller Hass. Seine Schatten sirrten um ihn herum.
Einen Moment lang war unklar, ob der Krieger den Handel ehren oder versuchen würde, ihn zu brechen. Die Magie flimmerte über seine goldbraune Haut und tanzte mit den Schatten über seine Rüstung. Schließlich, gemäß dem Handel, sagte und tat er nichts weiter.
Sein Ausbruch war nicht spurlos an Eris vorbeigegangen. Auf dessen Fingerspitzen züngelten für einen Augenblick kleine Flammen, als der Schattensänger aufgesprungen war. Nachdem dieser langsam wieder einen halben Schritt abrückte und die Schatten sich ruhig um Azriels Lederkleidung legten, erlosch das Feuer. Eris fuhr fort: „Durch meine schroffe Zurückweisung lag die ganze Schmach ihrer Aktion wieder auf ihrer Seite. An weiblichen Fae blieb Schmutz schon immer wesentlich besser haften als an männlichen.“ Eris schnaubte kurz, was anzeigte, dass er diese Tatsache, die er für sich selbst genutzt hatte, trotzdem nicht guthieß.
„Ich dachte mir zudem, dass ich Morrigan durch die klar gelöste Verlobung jetzt genau das gegeben hatte, was sie wollte: Ihre Freiheit. Denn mit ihrem jetzigen Ruf konnte sie Keir auch an niemand anderen von Rang verheiraten, zumindest nicht in den traditionelleren Höfen wie Herbst oder Nacht.“
Eris beugte sich nach vorn, näher an Azriels Gesicht heran, seine Stimme tief und ernst. „Aber das ist keine Entschuldigung für meine Tat, Schattensänger. Und hier kommt der Teil, durch den du mich noch mehr hassen wirst: Ich habe Morrigan im vollen Bewusstsein beleidigt und auch gewusst, dass damit noch drastischere Konsequenzen aus ihrer Tat für sie erwachsen würden.“
Seine Stimme senkte sich bis zu einem Flüstern herab und erschuf damit eine kleine Welt, die nur Azriel und ihn umfasste. „Oh ja, Schattensänger, ich habe mir sogar gewünscht, dass sie bestraft wird, für die Unverschämtheit, für die Anmaßung, mich so sehr zu demütigen und damit mein ganzes Leben zu riskieren. Ich war voller kalter Wut. Ich wollte nie wieder etwas mit ihr zu tun haben, wollte eine Bindung zu ihr auf jeden Fall verhindern. Ich wollte, dass sie sich in dem Staub windet, in den sie mich hatte stoßen wollen. Kannst du das überhaupt ermessen? Sie hat mich nicht nur zurückgewiesen. Ich war nur Beiwerk in einem Machtkampf mit ihrem Vater. Kein Fae, kein fühlendes Wesen, sondern ein Ding, das man achtlos zertreten kann, um den Plan des Vaters zu vereiteln.“
Azriel knurrte abermals und ballte die Fäuste. Beide lieferten sich ein Blickduell: Azriel mit aus Liebe und Sorge geborenem Hass, Eris voller Zorn über das Geschehene.
Eris senkte als erster den Blick und krauste seine Stirn bei der Erinnerung, was danach folgte. „Was ich aber nicht wissen konnte, war, wie grausam Keir seine eigene Tochter bestrafen würde. Diese Nägel, vor allem aber diese Kaltherzigkeit…“
Er verzog voller Grausen das Gesicht und trat einen Schritt zurück. Für einen Moment wirkte er, als sei er niedergedrückt von der Erinnerung. „Auch wenn du es mir nicht glaubst, Schattensänger, aber ich habe heute noch Alpträume vom Anblick der gemarterten Morrigan.“
Eris nahm Azriels Blick wieder auf und streckte den Rücken durch. „Aber dennoch – als ich sie dort sah, erfasste mich nicht etwa Entsetzen oder Schrecken oder Mitleid. Alles, was ich spürte, war eine kalte Wut auf sie für die Demütigung, die sie mir angetan hatte und den dreisten Versuch ihres Vaters, sie mir nach all dem doch noch aufzuhalsen. Ich wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben, nicht für sie verantwortlich sein und eine Bindung zu ihr auf jeden Fall verhindern. Wenn ihre Familie diese Strafe für angemessen hielt, sie wie Müll behandelte… dann war das nicht meine Verantwortung, sondern ganz allein ihre eigene. Sie hatte bereits in dem Kriegscamp die Wahl getroffen, dass sie lieber ihr Leben riskierte, als am Herbsthof zu leben. Und als ich sie dies fragte, sprach ihr Blick Bände. Also… ließ ich sie in den Wäldern zurück.“
Eris sah Azriel auffordernd und provozierend an. Er schien sich seiner Grausamkeit und Kälte nicht im Geringsten zu schämen, als spürte er heute noch die genau gleiche verzehrende Wut wie damals.
Azriels Zähne knirschten voller unterdrücktem Zorn und die Adern seines Halses schwollen an. Die Schatten richteten sich an jedem Körperteil drohend auf, als würden sie Eris gleich anspringen. Azriels ganzer Körper war gespannt vor Anstrengung, gemäß dem Handel Eris seine Untaten nicht zu vergelten.
„Du Monster…“, presste er hervor.
Eris lockerte seine resolute Pose und stand nun lässig vor ihm, als würde er die ganze Bedrohung gar nicht wahrnehmen. Er schmunzelte nur einmal kurz, als sein Blick über Azriel schweifte. „Whiskey?“, fragte er süffisant.
Ohne auf die Antwort zu warten, schritt er zur Wand. Eris nahm die Flasche auf, füllte das Glas und streckte es Azriel wortlos entgegen. Dessen Blick war voller Abscheu, als er wie mechanisch zu Eris ging und das Glas entgegennahm. Mit einem Zug leerte Azriel den Whiskey und sein Körper entspannte sich ein wenig. „Was ist der zweite Teil der Geschichte?“, knurrte er und klirrte das Glas auf die Felsenausbuchtung.