Chapter Text
- Kapitel: Past the Point of No Return
Da lag es. Klein, rechteckig, hellbraun, mit Amazon-Logos in schwarzer Schrift und einem weißen Aufkleber mit meinem Namen und Adresse. Kalt und gleichgültig residierte es auf meinem Schreibtisch, zwischen Tastatur und Ronald Rengs Buch „Spieltage“, als ob überhaupt nichts dabei sei. Als ob es jetzt ganz selbstverständlich einfach dazugehörte. Und ich stand davor, in Boxershorts und meinem „Alle-Mann-an-Bord“-Shirt, von dem ich im Chaos der Klassenerhaltsfeierlichkeiten im Juni irgendwie eine XXL-Version abbekommen und das ich deshalb zum Schlafshirt umfunktioniert hatte, mit zerzausten Haaren und nackten Füßen, und starrte es an.
Ich hatte es vergessen. Ich hatte es tatsächlich vergessen. Gestern Nacht waren wir so spät aus dem Trainingslager wiedergekommen, dass ich mit Müh und Not den Weg von der Wohnungstür in mein Zimmer gefunden hatte und sofort eingeschlafen war, und ausnahmsweise hatte ich mal nicht von Ramin geträumt. Ich hatte tief, ruhig und lang geschlafen, und jetzt war ich eigentlich auf dem Weg ins Bad und dann in die Küche zu einer großen Tasse Kaffee gewesen. Aber die konnte ich mir jetzt sparen. Der Anblick des Pakets, das Finn auf meinen Schreibtisch gelegt haben musste, hatte jedes Koffein überflüssig gemacht.
Da waren sie drin. Die CDs. Die DVDs. Ramins Stimme, seine Gesten, seine Mimik, sein Körper, seine Hände, sein Gesicht. Eingefangen auf vier dünnen Scheiben. Und plötzlich meiner Kontrolle unterworfen.
Ich machte einen Schritt auf den Schreibtisch zu und streckte die Hand aus. Am ganzen Arm sah ich Gänsehaut, und ich glaubte nicht, dass das mit dem kühlen Parkettboden an meinen nackten Füßen zu tun hatte. Als meine Fingerspitzen Millimeter über der Pappe schwebten, hielt ich inne.
Ich sollte das nicht tun. Ich hatte ein Scheiß-Trainingslager gespielt, einzig und allein deswegen, weil Ramin andauernd durch meinen Kopf gegeistert war. Und umgekehrt hatte er mich vermutlich längst vergessen. A fuck, weiter nichts. Einer von vielen. Von tausenden. Ich hatte nichts zu gewinnen und alles zu verlieren, wenn ich ihn nicht sofort losließ. Aus meinem Kopf vertrieb. Aus, Ende, vorbei. Ich sollte dieses Paket nehmen und in der Elbe versenken.
Ich stand da, mit geteilten Lippen, meine Fingerspitzen noch immer Millimeter von ihm entfernt. Schmeiß es weg! Schmeiß es weg!
Meine Hand schoss nach unten, und meine Finger schnappten zu. In einer einzigen Bewegung riss ich den Schreibtischstuhl herum, krachte darauf hinunter und zog so heftig an der Lasche, dass die halbe Verpackung auseinanderfiel. Zwei Zettel fielen zu Boden und blieben liegen, wo sie waren. Ich nahm nichts mehr wahr außer einem Paar tiefbrauner Augen, in denen das Lodern sogar durch die Plastikfassung der CD-Hülle zu erahnen war.
Sein Solo-Album lag zuoberst. Ramins Name stand in großer Schrift genau mittig auf dem Cover. Er selbst schien auf einem niedrigen Hocker zu sitzen. Er trug eine blaue, am rechten Knie abgewetzte Jeans und eine dunkle Jacke über einem helleren, blauen Oberteil. Seine Hände waren aneinandergelegt, die linke etwas weiter hinten als die rechte, die Finger ausgestreckt. Die Qualität war gut genug, um jede einzelne Ader sehen zu können. Ich starrte sie an. Seine Hände. Regungslos eingefangen auf diesem Foto. Aber in meinem Kopf erwachten sie zum Leben. Sie trennten sich voneinander, streckten sich aus, griffen nach mir. Zogen mir das T-Shirt über den Kopf, fuhren über meinen Oberkörper, über Brust, Bauch und …
Ich schluckte. Blinzelte. Holte Luft. Dann riss ich den Blick los und sah Ramin wieder ins Gesicht.
Sein schwarzes Haar war über der hohen Stirn auf eine sorgfältig angeordnete unordentliche Art nach rechts gekämmt, seine Augenbrauen voll und seine Wangen genau so, wie ich sie in echt gesehen hatte: rasiert, aber mit Bartschatten. Seine Lippen waren geöffnet, ganz leicht, nur einen Spalt breit, aber das war genug. Ich spürte sie, kraftvoll, hungrig, dominant, auf meinen Lippen, meinem Hals, meiner Brust, meinen Oberschenkeln …
Ich stieß die Luft aus, legte den Kopf in den Nacken, sah die weiße Zimmerdecke, schüttelte mich. Mein Atem ging schwer. Ich wartete, kämpfte, und erst, als ich mich ein wenig beruhigt hatte, senkte ich den Blick wieder auf die CD.
Ramin schaute direkt in die Kamera. Direkt auf mich. Ich starrte und starrte, und ich fiel, kopfüber in seine Augen, diese Höhlen, tief, unergründlich, aber mit diesem Schimmer, dieser Verheißung von Feuer und Licht und Wärme. Ich fiel und fiel. Wollte nie mehr aufhören. Nie wieder auftauchen.
Als ich es dann doch irgendwann tat, nahm ich zum ersten Mal das Foto als Ganzes wahr. Ich sah ihn dort sitzen, in die Kamera schauen, offen, freundlich, mühelos, und ich wollte, dass er sich bewegte, sicher, geschmeidig, wollte ihn hören, riechen, schmecken, fühlen. Ich wollte mehr.
Ich schluckte und fuhr mir mit der Zunge über die Oberlippe. Mit bebenden Fingern begann ich, mir einen Weg unter die Plastikfolie zu graben. Vielleicht waren im Booklet ja noch mehr Fotos von Ramin.
Das waren sie. Sechs Stück waren drin, und eins fand ich noch auf der Rückseite der CD. Jedes saugte ich auf, in jedem ertrank ich, in seinen Armen, seinen Lippen, seinen Augen. Ramin, gegen eine hölzerne Leiter lehnend, den Blick abgewandt, durch ein Fenster hinter ihm in strahlendes Sonnenlicht getaucht. Ramin, sitzend auf derselben Leiter. Ramin, in Lederjacke vor einem dunklen Hintergrund. Ramin, breit lachend. Ramin, mit irgendwie fragendem oder vielleicht aufforderndem Gesichtsausdruck vor einer Wand mit orientalischen Malereien. Ramin, auf den Fußballen auf einem Stuhl hockend, den Kopf in die Hände gestützt, nachdenklich. Ramin, stehend, leicht vornübergeneigt, mit dem rechten Ellbogen gegen eine Backsteinwand gestützt und den Kopf in die Innenseite des Arms gelehnt, die linke Hand bis auf den Daumen in der Jeanstasche vergraben.
Ich schaute und schaute. Erst, als sich jedes Detail in mich gebrannt hatte, klappte ich das Booklet zu. Umständlich steckte ich es zurück in die Hülle. Für einen Moment sah ich das Cover noch einmal durch das Plastik hindurch an. Mein Daumen strich hauchzart über sein Gesicht. Mit beiden Händen, als wäre sie ein rohes Ei, legte ich die CD auf „Spieltage“ und wandte mich der nächsten zu, der Original-Cast-Aufnahme von „Love Never Dies“.
Ich atmete gleich etwas leichter, denn auf dem Cover war diesmal kein Ramin abgebildet. Nur eine Maske mit vollen roten Lippen und schwarzen Augenhöhlen. Auf der Rückseite waren nur die Tracks aufgeführt. Auch hier fummelte ich also das Booklet heraus und wurde schon auf der zweiten Doppelseite belohnt: Am rechten unteren Rand war ein kleines Bild von Ramin und einer Frau, die der Unterschrift nach Sierra Boggess war, Arm in Arm und beide strahlend. Ich lächelte. Ramin sah richtig gelöst aus, so hatte ich ihn bis jetzt noch nicht erlebt.
Auch auf der nächsten Seite waren zwei kleine Bilder von ihm, einmal konzentriert über ein Heft gebeugt, das vermutlich Noten oder Text enthielt, den Komponisten Andrew Lloyd Webber an seiner Seite, und noch mal mit Sierra Boggess, diesmal im Scheinwerferlicht und vermutlich bei irgendeiner Veranstaltung. Ich blätterte bis zum Ende, aber Bilder von Ramin waren keine mehr drin. Auch hier steckte ich das Booklet vorsichtig zurück in die Hülle, bevor ich das Album zur Seite legte.
Jetzt waren noch die DVDs übrig. „Les Misérables“ und „Phantom of the Opera“, jeweils das fünfundzwanzigste Jubiläum. Die Les-Mis-DVD lag obenauf, war aber nicht besonders spannend. Auf dem Cover war nur ein aus einiger Höhe aufgenommenes Foto der Bühne, auf der eine ganze Menge winziger Leute standen, und es gab kein Booklet. Ich versuchte, Ramin unter den Schauspielern auf dem Cover auszumachen, aber das konnte ich vergessen. Die Gesichter waren nicht zu erkennen, und um Ramin allein anhand seines Kostüms zu identifizieren, kannte ich das Musical nicht gut genug. Ich legte die DVD zur Seite.
Nur die Phantom-DVD blieb. Ich nahm sie in die Hand. Auf dem Titelbild war wieder kein Ramin, nur ein Haufen anderer Leute. Ich drehte die DVD um, und da war er. Das Foto war relativ klein, und ich hielt die Hülle ganz nah vor meine Augen, damit mir ja nichts entging.
Das Bild stammte aus einer Aufführung. Ramin trug einen schwarzen Mantel über einem weißen Hemd, sogar mit weißer Fliege. Sein linker Arm war gehoben, seine Augen nach oben gerichtet – zumindest das Auge, das ich sehen konnte, das linke. Das rechte war, wie schon bei der „Love-Never-Dies“-Aufführung, nur durch ein Loch in der Maske auszumachen, die sich von seinem rechten Kinn über die Oberlippe schräg hoch zur Stirn zog, direkt über die Nase, bis sie unter einem schwarzen Hut verschwand, den Ramin leicht schräg auf dem Kopf trug. Sein Mund war geöffnet. Er sang.
Ich wollte schlucken und konnte nicht. Ramin … Seine Hand, sein Blick, sein Mund, seine Stimme, die im Foto verloren war und die trotzdem durch meinen Kopf hallte, undeutlich, vage, nur ein Echo, und doch … Er war so übernatürlich. So sehr nicht von dieser Welt. Erhaben, entrückt, mystisch, geheimnisvoll, bedrohlich … Mit einer Aura, die … die …
Ich schauderte. Plötzlich war mir kalt, und wieder spürte ich Gänsehaut am ganzen Körper. Leute, was ist das? Ein Foto, daumengroß, noch nicht mal. Und ich falle hier auseinander.
Ich schüttelte den Kopf, lehnte mich in den Stuhl zurück und atmete, den Blick wieder auf die Zimmerdecke gerichtet. Erst, als sich das Kribbeln halbwegs verzogen hatte, schaute ich wieder hinunter auf die DVD-Hülle.
Da war noch ein zweites Bild auf der Rückseite: ein Mann und eine Frau, die sich lachend in die Arme fielen. Ich wusste genug von der Handlung des Musicals, um ziemlich sicher sein zu können, dass das Raoul und Christine waren. Christine, die junge Sängerin im Ensemble der Oper, die das Phantom als seine beanspruchte. Es lebte dort im Untergrund, ungesehen, nicht zu greifen. Die Eigentümer und auch Raoul glaubten zuerst nicht, dass es überhaupt existierte, und doch hielt es alle Fäden in der Hand. Christine war sein Liebling, seine Schülerin, die ihn verzauberte mit ihrer Stimme, und die es verzauberte mit seiner Musik. Und Raoul war Christines alter Schulfreund, der ihr am Anfang des Musicals nach Jahren wieder begegnete, der sie liebte und der im weiteren Verlauf der Handlung immer versuchte, sie vom Phantom weg und auf seine Seite zu ziehen. Er war das Gegengewicht zum Phantom: jung, gutaussehend, gesellschaftsfähig, sogar adelig, reich. Und trotzdem konnte er Christine nicht völlig vom Phantom lösen. Immer wieder, obwohl sie es selbst gar nicht immer wollte, kehrte sie zu ihm zurück. Unfähig, aus seinem Bann zu entkommen. Egal, was die Konsequenzen waren.
Ich atmete, schüttelte den Kopf. Resolut drehte ich die DVD wieder um. Als mein Blick auf die Namen unter dem Coverfoto fiel, stellte ich fest, dass Christine schon wieder von Sierra Boggess gespielt wurde. Die verfolgte Ramin irgendwie. Die Glückliche.
Ich stieß die Luft aus und presste die Lippen zusammen. Sie ist eine Frau, Martin. Alles gut. Und ganz unabhängig davon ist das einfach lächerlich.
Ich schloss die Augen. Lächerlich, ja. Das war es allerdings.
Ich legte die DVD auf den Schreibtisch und fuhr mir mit beiden Händen übers Gesicht. Vor mir lagen jetzt auf einem Stapel die beiden CDs und die Les-Mis-DVD auf „Spieltage“, links daneben die Phantom-DVD auf den Überresten der Verpackung. Und jetzt? In den Schrank stellen, aufräumen?
Ich sah auf die Uhr, die über meinem Bett an der Wand hing. Kurz nach halb elf. Zum Training musste ich erst am Nachmittag, und Finn war nicht da, weil er ein Vorbereitungsspiel mit der U23 hatte. Ich hatte die Wohnung für mich, ich hatte Zeit, und ich hatte offensichtlich keinen Funken Selbstkontrolle mehr im Leib. Mein Kopf hielt einen Strom von Vorwürfen und dunklen Zukunftsaussichten aufrecht, während ich mir eine Trainingshose überzog, die Phantom-DVD vom Schreibtisch nahm, mit ihr ins Wohnzimmer ging und sie in den Blu-Ray-Player schob. Aber es brachte null Komma null. Ich drehte mich um, setzte mich aufs Sofa, fand mit gefühllosen Fingern die richtigen Knöpfe auf der Fernbedienung. Und dann ging es los.
Es ging los, und ich war weg. Weg aus Hamburg, aus dem Wohnzimmer, aus mir. Ich war in Paris, in der Opera Populaire, und ich war nicht mehr Martin, kein Zuschauer, nicht passiv, kein Außenstehender. Ich war Christine. Und ich war dabei. In der Oper. In der Musik. Bei ihm.
Und ich lechzte mit ihr nach seiner Aufmerksamkeit, seiner Anerkennung, und wir bekamen sie … Brava, brava, bravissima … Und dann der Name … Christine … Er sang ihn so sanft, so zärtlich, so umgarnend, so begehrend … Es war das Einzige für ihn. Wir waren das Einzige, das für ihn zählte.
Und er war unser Phantom, unser angel of music, unsere dunkle Seite, und natürlich hatten wir Angst, wir fürchteten uns vor ihm, aber als der Spiegel sich teilte, als er heraustrat und die Hand ausstreckte, da ergriffen wir sie ohne zu zögern, weil wir es nicht anders wollten, weil wir nicht anders konnten.
Und dann … In sleep he sang to me, in dreams he came, that voice which calls to me and speaks my name … Oh ja. Wieder und wieder, ungebeten, unerwünscht, und doch so willkommen … so unbedingt gebraucht … And do I dream again? For now I find the Phantom of the Opera is there, inside my mind … Immer. Ständig. In meinem Kopf, in meinen Träumen, in meinem Herzen. Und er wusste es, er sagte es, my power over you grows stronger yet, and der Chor warnte, rief, schrie, Beware the Phantom of the Opera!, aber es war zu spät, zu wenig, zu schwach, bedeutungslos neben ihm, seiner Maske, seinem Boot, seinen Händen, seiner Stimme, seiner Musik. Und er war undurchschaubar, vielschichtig, wer er wirklich war, wussten wir nicht, aber das war egal, denn in all your fantasies you always knew that man and mystery were both in you, und das war es ja gerade, das Geheimnis, das Dunkle, die Gefahr, die uns so unwiderstehlich anzog, und deswegen waren wir bei ihm, bei ihm und nicht bei Raoul.
Und bei ihm … in seinem Reich, über dem See, inmitten der Kerzen, der Schwärze, der Nacht … da machte er uns sich zu eigen. Silently the senses abandon their defenses … Close your eyes and surrender to your darkest dreams … Open up your mind, let your fantasies unwind, in this darkness which you know you cannot fight … Und wir schüttelten den Kopf; als ob wir es je versuchen würden, als ob wir es je versuchen wollten … Let your soul take you where you long to be … Only then can you belong to me … Oh bitte … dir gehören … ja … Floating, falling, sweet intoxication … Touch me, trust me, savour each sensation … Let the dream begin, let your darker side give in, to the power of the music that I write … The power of the music of the night …
Und die Musik wuchs, fiel, floss und strömte, bis unser ganzer Körper sang, wir spürten seine Hand an unserem Hals, seine Brust an unserem Rücken, und als wir fielen, fing er uns auf und trug uns hinüber zum Boot, wo er uns bettete, sanft, zärtlich, und uns zudeckte mit seinem eigenen Mantel.
Und als wir aufwachten, saß er am Klavier, er komponierte, versunken, entrückt, und dann war da Neugier, who is that shape in the shadow, whose is that face in the mask, und wir schlichen uns an, streckten die Hand nach seiner Maske aus, einmal, zweimal, dann schnappten wir zu, und dann … Sein Zorn, seine Abscheu … Curse you! … This is what you wanted to see? … Now you cannot ever be free …
Nein, das konnten wir nicht. Aber das hatten wir auch vorher nicht gekonnt. Nicht seine Entstellungen, seine Maske unter der Maske waren es, was sich in uns eingebrannt hatte, nein … seine Musik … sein Wesen … er … Das alles war schon vorher da gewesen. Und all das war wie sein Gesicht: unvergesslich, einzigartig, hässlich, sicher, auf den ersten Blick und auch danach. Aber auch schön. Wunder-, wunderschön.
Und er ließ uns gehen, zurück zu den anderen, und sie zerrten an uns, versuchten uns zurückzuholen, von ihm zu lösen, aber es ging nicht. Er sah uns, immer, wir spürten seinen Blick, his eyes that burn, und wir sahen ihn töten und hörten ihn kreischend darüber lachen, und wir waren entsetzt, verstört, wir fürchteten uns, so sehr, wir fragten uns, who is this man who hunts to kill? I can’t escape from him, I never will, und als Raoul widersprach, mit der Stimme der Vernunft, there is no Phantom of the Opera … Da erzählten wir es ihm …
Raoul, I’ve been there, to his world of unending night, to a world where the daylight dissolves into darkness … darkness … Raoul, I’ve seen him! Can I ever forget that sight? Can I ever escape from that face? So distorted, deformed, it was hardly a face in that darkness …
Und wir wünschten uns, in diesem Moment, all das nie gesehen zu haben, vergessen zu können, alles, die Musik, seinen Anblick, ihn … und doch … But his voice filled my spirit with a strange, sweet sound, in that night there was music in my mind … and through music, my soul began to soar … and I heard as I’d never heard before … Und das war es wert gewesen … Das wollten wir nicht missen … War es das wert gewesen? Wollten wir gehen? Wollten wir bleiben? Aber konnten wir gehen?
Wir versuchten es, und wir scheiterten. Er ließ uns nicht los, er zog uns wieder zu sich, an unsichtbaren Fäden, und fesselte uns, fesselte uns so, dass wir es erst merkten, als es zu spät war, als er uns unlöslich an sich gebunden hatte … He won’t let me go … It won’t ever end … And he’ll always be there, singing songs in my head …
Verrückt, die anderen glaubten, wir seien verrückt, und ja, wir waren verrückt, aber gleichzeitig sahen wir klarer als alle, und wir wussten, worauf wir uns einließen, und wir wollten fliehen, wollten Nein sagen, aber wir konnten nicht … wir konnten nicht … Twisted every way … I know I can’t refuse and yet, I wish I could … Wildly my mind beats against you, yet my soul obeys …
Wir konnten uns nicht lösen, von unserem angel of music, dem angel of darkness, dem angel of death, dem angel of dark, delicious, dangerous desire. Und deshalb kehrten wir noch einmal zu ihm zurück, und er sang, und wir sangen, und dann sangen wir beide gemeinsam, und endlich sprachen wir es aus, die Essenz, das Einzige, was wirklich zählte, weil es alles Für und Wider und Klare und Vernünftige bedeutungslos machte.
Past the point of no return
The final threshold
The bridge is crossed, so STAND
And watch it burn
We've passed the point of no return
Past the point of no return. Past the point of no return. Past the point of no return.
Die DVD war zu Ende. Das Wohnzimmer war still. Mein Kopf war auch still. Keine Proteste mehr, kein Bitten, kein Flehen, kein Fluchen. Ich saß auf dem Sofa, durchgeschwitzt von Kopf bis Fuß, meine Augen rot und brennend und meine Wangen nass, jede Faser meines Körpers dumpf und schwer. Und darin klang das Echo der Musik.
*
Einen Tag später gewannen wir den Telekom-Cup, ein Miniturnier mit vier Mannschaften, das in jeder Sommervorbereitung ausgetragen wurde. Zur Belohnung und zur Erholung nach Trainingslager und Turnier gab Bruno uns zwei Tage frei. Ein letzter, winziger Teil meines Kopfes erhob noch einmal schwache Proteste. Aber nur ganz leise. Und nur ganz kurz. Noch auf der Rückfahrt aus Mönchengladbach buchte ich für den nächsten Morgen den Neun-Uhr-Flug nach London.
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Referenzen:
„Past the Point of No Return” – aus dem Musical “Phantom of the Opera” von Andrew Lloyd Webber. Musik von Andrew Lloyd Webber, Lyrics von Charles Heart, ergänzende Lyrics von Richard Stilgoe, Buch von Richard Stilgoe und Andrew Lloyd Webber. Basierend auf dem Roman „Le Fantome de l’Opera“ von Gaston Leroux. Orchestrierungen von David Cullen und Andrew Lloyd Webber. Uraufführung 1986. [Auch alle weiteren zitierten Lyrics in diesem Kapitel entstammen dieser Quelle.]
Ronald Reng: Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga. München 2013.
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An die Fußballfans: Es war das letzte so musical-lastige Kapitel, versprochen. Und das erste intensive Fußballkapitel rückt auch immer näher. Haltet durch ;)
An die Musicalfans: Ich hoffe, ihr habt es genossen. Eigentlich hoffe ich, ihr habt es GEHÖRT. Das wäre die Idealvorstellung. Ich habe beim Schreiben gehört, gesehen und gespürt, und ich kriege jedes Mal beim Lesen wieder Schnappatmung. I’m sorry, but it’s the truth.