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Traum im Kopf

Chapter 22: My Roof, My Rules

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  1. Kapitel: My Roof, My Rules

 

Die nächste Woche trainierte ich wie besessen, haute mich in die Zweikämpfe und gab in jeder Übung alles. Aber als Bruno am Donnerstag die Aufstellung fürs Saisoneröffnungsspiel bekanntgab, fand ich meinen Namen auf der Ersatzbank wieder. Meinen Platz in der Startelf würde Gidi übernehmen. Es war eine von insgesamt fünf Änderungen im Vergleich zum Pokalspiel.

Ich starrte auf die Taktiktafel. Es fühlte sich an, als hätte sich mein Magen in Luft aufgelöst. Ich senkte den Blick auf meine Füße, biss mir auf die Oberlippe und versuchte, mich zusammenzureißen. Warum durfte ich denn nicht spielen? Klar war ich in Jena grottenschlecht gewesen. Aber das traf doch auf alle zu. Und ich hatte doch seitdem im Training alles gegeben. Ja, Gidi hatte auch gut trainiert. Aber besser als ich?

Ich atmete durch, löste die Zähne aus der Oberlippe und zwang den Kopf wieder nach oben. Das hier war die Taktiksitzung fürs Spiel, und ich war im Kader. Sollte ich eingewechselt werden, musste ich wissen, was meine Aufgabe war. Und selbst wenn nicht, musste ich von außen alles tun, um das Team zu unterstützen. Jeder war wichtig. Auch die, die auf der Bank saßen.

Jeder ist wichtig. Ein Muskel in meinem Gesicht zuckte. Ich wusste, dass das stimmte, und ich hatte es in den Jugendmannschaften oft mit voller Inbrunst an frustrierte Ersatzspieler vermittelt. Aber es war leichter, daran zu glauben, wenn man selber zu den Startelfspielern gehörte.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und zwang meine Konzentration auf Bruno und seine Taktiktafeln. Ich hörte zu, während er von Laufwegen, Verschiebungen in den Ketten, Umschaltmomenten, Varianten bei offensiven und Zuteilung bei defensiven Standardsituationen sprach, und als die Sitzung vorbei war, war es immerhin ein kleiner Trost, dass ich es geschafft hatte, die Enttäuschung zumindest nach außen niederzuringen. Aber als meine Mitspieler den Besprechungsraum einer nach dem anderen verließen, hielt Bruno mich zurück. Mir wurde eiskalt. Hatte ich meine Körpersprache so falsch eingeschätzt? Hatte ich doch nicht konzentriert, sondern beleidigt ausgesehen, und würde dafür jetzt eine Standpauke kriegen?

Unser Trainer wartete, bis der Letzte die Tür hinter sich geschlossen hatte. Mit seinem ruhigen Blick sah er mir in die Augen. „Martin, keine Sorge. Du hast gut trainiert, das habe ich auch gesehen, und die Aufstellung für München ist keine generelle Versetzung auf die Bank für dich.“

Zittrig atmete ich aus. Ein Glück. Ich hatte mich also doch beherrschen können. Und offensichtlich hatte ich auch meine Trainingsleistung richtig eingeschätzt. Ich nickte, aber Bruno war noch nicht fertig. „Aber ich möchte den Bayern nicht ins offene Messer laufen. Du weißt selbst, wie spielstark sie sind, und deshalb stellen wir eher defensiv auf. Da sehe ich Gidi momentan etwas stärker als dich. Außerdem ist er besser im Kopfballspiel und kann bei Flanken, Ecken und Freistößen die Innenverteidiger besser unterstützen. Aber gib du nicht auf, auch wenn du jetzt enttäuscht bist – gib Gas, trainier weiter gut, und du wirst auf deine Einsätze kommen!“

Ich holte Luft, nickte noch mal, und Bruno entließ mich mit einem Klaps auf die Schulter. Während ich zur Tür ging, hallten seine Worte durch meinen Kopf. Defensiv stärker … Besser im Kopfballspiel …

Na gut. Am Kopfballspiel konnte ich wenig ändern. Gidi war 1,89 Meter groß, ich 1,81. Das war für einen defensiven Mittelfeldspieler durchschnittlich, aber diese acht Zentimeter hatte Gidi mir eben voraus. Das war so. Außerdem konnte Gidi problemlos auch Innenverteidiger spielen, meine Alternativposition war dagegen offensiver, auf der Acht. Da war es logisch, dass Bruno für eine defensive Aufstellung eher Gidi nominierte. Aber gut. Nicht jeder Gegner waren die Bayern, und außerdem wusste ich jetzt, wo ich im Training noch mehr Fokus legen konnte.

Ich zog die Tür auf, trat aus dem Besprechungsraum und fand im Gang Gidi und Michi, der ebenfalls in die Startelf gerutscht war. Für beide würde es am Freitag das Bundesligadebüt sein. In Gidis Lächeln lag ein wenig Unsicherheit. Michi grinste so breit wie immer. „Na? Ärger?“

„Quatsch!“ Ich schüttelte den Kopf und grinste zurück. Es war ganz einfach. Und es war auch einfach, Gidi anzuschauen, zu lächeln und ihm auf die Schulter zu schlagen. „Glückwunsch, Jungs! Erstes Bundesligaspiel, gleich Startelf, gleich Bayern – was will man mehr?“

Gidis Lächeln wurde breiter, und die Unsicherheit verschwand. „Danke!“ Jetzt kriegte ich einen Schlag auf die Schulter. „Pass auf, das nächste Mal spielen wir zusammen!“

„Ja, das wär’s!“ Ich lachte. „Nächste Woche gegen Stuttgart alle in der Startelf! Michi macht die Tore, wir halten den Laden zusammen!“

„Siehste?“ Michi grinste. „Wir brauchen schon gar keinen Trainer mehr!“

Lachend verließen wir zu dritt das Stadion.

 

*

 

Das Spiel in München verfolgte ich also von draußen. Ich sah eine durchaus gute erste Hälfte von uns, die sich zwar wie erwartet nur aufs Verteidigen beschränkte, aber das machten wir vorbildlich. Zur Pause lagen wir durch ein blödes Gegentor nach einem Freistoß mit null zu eins zurück, aber auch nach dem Tor hatten wir weiter gekämpft und dagegengehalten. Die Bayern waren spielbestimmend, feldüberlegen und hatten mehr Ballbesitz, aber das alles hatten wir vorher gewusst. Trotzdem war es ein ganz anderes Spiel als die Partie in der letzten Saison. Diesmal wehrten wir uns, alle machten mit, und Gidi und Michi schlugen sich richtig gut.

Zu Beginn der zweiten Hälfte gingen wir etwas offensiver heran und pressten die Bayern schon in ihrer eigenen Hälfte. Wir wollten zwar nicht zu sehr aufmachen, aber es brachte ja nichts, mit aller Macht ein null zu eins halten zu wollen – nicht, solange die Chance auf einen Punktgewinn da war. Die machten die Bayern dann aber leider schnell zunichte. Nach einem Fehler von Matze erzielten sie schon in der 53. Minute das zwei zu null, und danach nutzten sie konsequent die Räume, die sich ihnen immer mehr boten. In der 69., 73. und 87. Minute fielen drei weitere Tore. Wir hörten nie auf zu kämpfen, aber die Bayern waren einfach zu gut, wie ich zähneknirschend anerkennen musste.

Nach dem Abpfiff sanken die Jungs enttäuscht auf den Rasen, aber ich fand, dass wir trotz des null zu fünf erhobenen Hauptes nach Hause fahren konnten. Wir hatten schließlich die ganze Zeit gekämpft und nie aufgegeben. Die Bayern waren auch einfach nicht der Gegner, gegen den wir unsere Punkte eingeplant hatten, schon gar nicht auswärts. Ich hatte das komplette Spiel erst auf der Bank und dann beim Aufwärmen verbracht und verwendete meine eingesparte Energie darauf, Gidi und Michi aufzubauen. Schon in der Kabine waren wir uns einig: Die Einstellung hatte heute gestimmt, das Ergebnis und die Punkte würden nächste Woche im Heimspiel gegen Stuttgart folgen.

 

*

 

Am Montag war ich gerade vom zweiten Training des Tages nach Hause gekommen und hatte mich aufs Sofa fallen lassen, als mein Handy klingelte. Als ich den Namen auf dem Display sah, strahlte ich. „Ramin!“

„Hey, you.“ Dunkel, warm, rau. Ich schloss die Augen und unterdrückte ein Lachen. „How’re you doing? Have you recovered from Friday all right?“

Er hatte gefragt, wie es ausgegangen war, und ich hatte es ihm geschrieben, aber wir hatten uns nicht länger darüber ausgetauscht. Jetzt zuckte ich die Schultern. “Sure. I mean, it was a pretty bad defeat, but it was in Munich against the best team in Germany. We tried everything, but we never really planned on bringing three points back from there. It was full focus on Stuttgart from pretty much right after the match.”

“So you’re playing them next, are you? How was their first match?”

“Lost to Köln, one to three. But they had, like, a thousand chances or something. They should have won, they were the better team.”

“So what do you think your chances are?” Sein Ton war spielerisch, aber es schwang eine Herausforderung mit.

Ich grinste nur. „A hundred percent. We’re playing at home, and we’re gonna win.”

“Just like that, huh?“

Sein Grinsen konnte ich von London bis nach Hamburg hören. Meins wurde gleich noch breiter. „Yep. Just like that.“

Er lachte leise. Ein Schauer lief meinen Rücken hinab. Was würde ich darum geben, ihn jetzt auf der Stelle herbeamen zu können.

„Sounds like I’d better not miss this, then, doesn’t it?“

Mein Mund öffnete sich. Einen Moment starrte ich regungslos den Couchtisch an. Ramin wollte …

„You’re coming?!“ Mit einem Satz war ich auf den Füßen. Ich presste mir das Handy so fest ans Ohr, dass sich die Kanten in meine Wange gruben.

„Well, coming is what I do best.“

Ich stieß die Luft aus. „Oh come on, Ramin! Can’t you have a single conversation without talking about sex?”

Er schnaubte. „I could, but where’s the fun in that? So, will you have me or not?”

Er meinte es ernst. Er meinte es wirklich ernst! „Of course I’ll have you!“ Das hatte ich fast geschrien. Hoffentlich hatte er sein Handy nicht so dicht ans Ohr gepresst wie ich meins. Ich lachte, fuhr mir mit der handyfreien Hand durchs Haar und versuchte, die nächsten Worte in normaler Lautstärke loszuwerden. „When will you come?“

„Well, I have to do the performances on Friday and on Monday. So I can come over on Saturday and go back around midday on Monday. Sounds okay?”

“Sounds perfect!“ Ich strahlte. Am liebsten hätte ich gesungen und getanzt. Ramin würde kommen, hierher, zu mir! Dieses Wochenende schon! Ich würde ihn wiedersehen, ihm die Stadt zeigen, mein Hamburg, er würde mich spielen sehen …

Shit. Das Spiel. Es war das Topspiel um 18.30 Uhr am Samstagabend, und wenn er erst am Samstag kommen konnte … „Hang on, shit, no, I can’t pick you up on Saturday, I can’t get away before the match. Can you … I mean …”

Komm schon, eine Idee. Irgendeine. Aber mein Kopf war leer. Ich konnte ihn am Spieltag auf keinen Fall abholen. Und wenn er am Freitagabend noch auf der Bühne stehen musste, konnte er nicht vorher anreisen. Und was konnte ich tun? Finn als Abholkommando schicken?

Ein hohles Lachen stieg in mir auf. Ja sicher. Super Idee. Eine bessere Methode, um sicherzustellen, dass er nie wieder herkommt, könnte dir nicht einfallen, oder?

Ich war drauf und dran, wirklich zu verzweifeln, da drang Ramins ruhige Stimme wieder an mein Ohr. „That’s okay, I’ll just go straight to the stadium. Maybe have a look around the city if I’m too early. What time does the match start?”

„Six thirty, German time. So that’s your five thirty.“ Ich zögerte. Ich hätte ihn schon gerne abgeholt. Und die Stadt wollte ich ihm auch zeigen, ich wollte nicht, dass er meine Heimat ohne mich kennenlernte. Aber wenn es nicht anders ging … „All right. I’ll send you a ticket, by email. But …” Ich biss mir auf die Lippe. Wenn er noch nie hier gewesen war … „Are you sure you’ll find it on your own? I mean, I could …”

Was ich hätte tun können, wusste ich nicht, denn ich würde ja auf jeden Fall bei der Mannschaft sein müssen. Aber Ramin unterbrach mich schon mit einem Schnauben. „Martin, I‘m a big boy, I can read maps and use the internet, and I’ve found my way around big cities plenty of times before. I’m gonna be fine.”

Ich seufzte. Aber gleichzeitig lachte ich. Natürlich hatte er recht. Und immerhin hieß das, dass er wirklich kommen würde. „All right. Well, after the match, just wait in the VIP-area, and I’ll come and get you.“

“I’m getting a VIP-ticket?” Es war deutlich zu hören, wie sehr ihm dieser Gedanke gefiel.

Ich grinste. „Sure!” Jedem Spieler standen pro Spiel bis zu vier Karten zur Verfügung, und das waren alles VIP-Plätze. Einen Herzschlag hielt ich inne, den Mund noch leicht geöffnet. Auf meiner Zunge lagen weitere Worte bereit. Worte, die sich darum drehten, wofür VIP stand. Very Important Person. Und ein to me war auch dabei.

Ich schluckte. Die Worte verschwanden. Es war zu früh. Zu viel. Zu viel zu früh. „Well then …“ Meine Stimme klang plötzlich belegt. Ich räusperte mich. „See you on Saturday!“

„See you!“

Vermutlich hatte er schon fast aufgelegt, als mir noch etwas einfiel. Etwas sehr Wichtiges. Ich riss das Handy wieder ans Ohr. „Wait, Ramin?!“

„Yes?“

Ich hielt inne. Wie sagte ich es am besten? Auf keinen Fall wollte ich wieder einen Streit anfangen. Aber raus musste es, unbedingt. Dafür war es zu verdammt wichtig. „You won’t – I mean – at the match, you know with my teammates and the fans and everything? They all know me, so … You’ll be there as my friend, okay? I mean, as a friend. Nothing more.”

Schweigen. Nur sein Atem war zu hören. Ich bearbeitete meine Unterlippe mit den Zähnen. Er seufzte. „Sure. As a friend.“

Seine Stimme war flach und monoton. Er klang nicht glücklich. Aber ich atmete aus. Er musste nicht begeistert sein. Er musste nur den Mund halten. „Thanks.“

Er lachte schnaubend. „Yeah. Whatever. See you then. Bye.”

Es klickte. Er hatte aufgelegt. Langsam ließ ich das Handy sinken. Was war das jetzt gewesen? Enttäuschung? Wut? Bereute er jetzt, dass er gesagt hatte, er würde kommen?

Ich biss mir auf die Lippe. Aber er hätte es ja sagen können, wenn er seine Meinung geändert hätte, und das hatte er nicht. Und wenn er hierherkommen wollte, in meine Welt, musste er eben nach meinen Regeln spielen. Er sollte sich nicht so anstellen. Er würde mich ja trotzdem bekommen, drüben in meinem Zimmer, wo uns keiner sah und keiner hörte und wir nichts waren als nur er und ich. Er und ich …

Ich richtete den Blick auf die Zimmerdecke. Ich würde ihn sehen. Bald. Am Samstag schon! Und diesmal hatte er angerufen, diesmal würde er sich ins Flugzeug setzen, diesmal würde er mir zuschauen! Und Finn konnte ihn auch endlich kennenlernen, dann würde er sehen, dass er Unrecht hatte, dass Ramin und ich viel mehr waren als nur Sex …

Ich breitete die Arme aus, stieß ein Triumphgeheul aus und ließ mich lachend in die Sofakissen fallen. Finn würde Augen machen, wenn ich es ihm erzählte. Grinsend lehnte ich den Kopf zurück und schloss die Augen. Jetzt musste ich am Samstag nur noch in der Startelf stehen. Und das würde ich. Koste es, was es wolle.