Chapter Text
Nachdem der zarte Kuss verklungen war, standen sie noch eine Weile einfach nur da.
Keine Worte, keine Hast.
Nur ihre Herzschläge, die sich langsam beruhigten.
Timo hatte den Kopf gegen Julians Brust gelegt, seine Finger hatten sich leicht in den Stoff des Hoodies verkrallt, als fürchte er, dass der Moment zerbrechen könnte, wenn er ihn losließ.
Aber Julian rührte sich nicht.
Er ließ ihn.
Er hielt ihn – ohne zu fesseln.
Später, nach einer Tasse Tee und ein wenig halbherzigem Aufräumen, saßen sie wieder gemeinsam auf der Couch.
Julian hatte seinen Laptop auf dem Couchtisch aufgeschlagen und blätterte durch seine Mails.
Timo saß neben ihm, die Knie angezogen, den Hoodie über die Hände gezogen, beobachtete ihn aus den Augenwinkeln.
"Willst du helfen?", fragte Julian beiläufig, als er eine neue Nachricht öffnete.
Timo blinzelte überrascht, dann nickte er zaghaft.
Julian schob den Laptop ein Stück zu ihm, zeigte ihm, welche Mails beantwortet werden mussten.
Timo tippte langsam, konzentriert, während Julian neben ihm saß, leise Anmerkungen machte oder kleine Notizen auf einem Block kritzelte.
Es fühlte sich gut an.
Normal.
Als gehörte er dazu.
"Irgendwas verpasst draußen?", fragte Timo nach einer Weile, seine Stimme vorsichtig neugierig.
Julian grinste und lehnte sich zurück.
"Hab letzte Woche deinen Außentermin übernommen. Lief alles glatt. Aber die Leute haben gefragt, wo unser Lieblings-Igel bleibt."
Timo schnaubte.
"Schön wär's."
Julian lachte leise.
"Kein Witz. Die mögen dich. Auch wenn du's nicht glaubst."
Timo wandte den Blick ab, aber ein zartes, heimliches Lächeln zuckte um seine Lippen.
"Ach, und Markus", setzte Julian an, und ein falsches, gespieltes Entsetzen huschte über sein Gesicht, "Markus hat natürlich wieder den Preis für den größten Arsch des Jahres gewonnen."
Timo blinzelte.
Markus.
Die alte Angst stach kurz in seiner Brust.
Aber Julian sprach ruhig weiter, so, als würde er Markus keine Macht geben.
"Hat wieder einen auf dicke Hose gemacht, keine Ahnung. War peinlich. Wirklich einfach nur peinlich. Nicht bedrohlich."
Er ließ keine Sekunde den Raum für Rückfallgedanken.
Keine alten Dämonen.
Nur ein klares, felsenfestes: Markus ist ein Arsch. Punkt.
Timo ballte die Hände in den Ärmeln zu kleinen Fäusten.
"Ich würde ihn am liebsten schlagen", murmelte er grimmig.
Julian lachte leise.
"Na dann.
Ich halt ihn fest, du picks ihn zu Tode.
Und Ramona wirft Stöckelschuhe nach ihm."
Timo prustete ungewollt los, das Bild viel zu lebendig vor seinem inneren Auge.
"Ich würde es feiern", gluckste er.
"Ich auch", grinste Julian.
Der Moment war warm.
Echt.
Und Timo fühlte sich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit nicht wie ein Gast in einer fremden Welt.
Er war Teil davon.
Später, als die Arbeit getan war, machten sie gemeinsam einen Termin beim Arzt.
Kein Zwang.
Kein großes Drama.
Nur zwei Menschen, die gemeinsam entschieden, dass Angst nicht länger alles bestimmen durfte.
Timo hatte den Hörer gehalten, während Julian neben ihm gesessen hatte, ein stummer Fels.
Und als der Termin stand – nicht morgen, nicht in Panik, sondern in drei Tagen – atmete Timo zum ersten Mal seit langem ein kleines Stück freier.
Der Abend kam, gedämpft und weich.
Sie saßen wieder auf der Couch, die Lichter gedimmt, draußen rauschte der Regen sanft gegen die Fensterscheiben.
Timo hatte sich irgendwann angelehnt.
Ohne große Entscheidung, einfach, weil es sich richtig anfühlte.
Julian hatte eine Hand in Timos Haare gelegt, kraulte langsam, gleichmäßig.
Keine festen Griffe.
Nur weiche, beruhigende Bewegungen.
Timo atmete tief ein, schloss die Augen.
Er spürte die Wärme von Julians Körper, das ruhige Pochen seines Herzschlags, den leisen, gedämpften Klang der Welt um sie herum.
Es gab keinen Ort, an dem er lieber gewesen wäre.
Gerade als er in den Schlaf glitt, murmelte Timo, kaum mehr als ein Hauch:
"Bleib bei mir."
Es war keine Forderung.
Keine Bitte, die mit Angst belegt war.
Nur ein leises, rohes Bedürfnis, geboren aus Vertrauen.
Julian beugte sich leicht vor, legte die Stirn sanft gegen Timos Haar und flüsterte zurück:
"Immer, Igelchen."
Und in dieser Nacht schlief Timo tief und ruhig ein, geborgen in einer Welt, die langsam begann, wieder Heimat zu werden.